Portraitobjektive in der Makrofotografie © Daniel Spohn

Portraitobjektive in der Makrofotografie

Der Waldboden als Fotostudio

Klassischerweise spielt sich Makrofotografie in einem Abbildungsmaßstab von 1:1 ab, ein Bereich, den nur echte Makroobjektive mit ihrer sehr geringen Naheinstellgrenze erreichen. Nach dieser Definition bewege ich mich meist nicht in der Makrofotografie. Vielmehr mache ich Portraits von kleinen Dingen, wieso also nicht auch ein Portraitobjektiv wie das 65mm F2 und das 90mm F2,8 aus der I-Series nutzen?

Das Spannende bei der Fotografie im Nahbereich

Was die Fotografie im Nahbereich für mich so spannend macht, ist das Zusammenspiel von Schärfe und Unschärfe, das Erzeugen eines ansprechenden Bokehs und die Reduktion der Fokusebene auf das Wesentliche. Zusätzlich zur Lichtstärke des verwendeten Objektivs ist dabei je nach Motivgröße die Naheinstellgrenze wichtig, also bis zu welcher Mindestdistanz das Objektiv noch fokussieren kann.

Der namensgebende Einsatzbereich von Portraitobjektiven – die People-Fotografie – wird durch eine geringe Naheinstellgrenze deutlich erweitert und macht sie auch in der Naturfotografie sinnvoll einsetzbar. Gerade im Frühjahr und Frühsommer, wenn überall die ersten Pflanzen sprießen und beginnen zu blühen und die Schmetterlinge und Libellen ihre Hochphase haben, reichen meist Abbildungsmaßstäbe ab 1:7 aus, um diese etwas größeren Motive in ihrem Mikrokosmos zu portraitieren.
Das 65mm erreicht fast exakt diesen Wert bei einer Naheinstellgrenze von 55cm. Das 90mm liegt mit einer Naheinstellgrenze von 50cm sogar bei einem Abbildungsmaßstab von 1:5.

In Kombination mit den verbauten neun Blendenlamellen sind beide Objektive ein Garant für ansprechend weiches Bokeh und perfekt runde Unschärfekreise, die auch zum Bildrand nur leicht elliptisch werden. Die volle Blende Unterschied in der Lichtstärke ist für die Bokehwirkung kaum spürbar. Das lichtschwächere 90mm F2,8 erreicht diesen Ausgleich durch die etwas längere Brennweite in Kombination mit der geringfügig kürzeren Naheinstellgrenze.

Die passende Brennweite

Beide Objektive konnte ich im Frühjahr zunächst bei den Maiglöckchen testen. Gerade bei Motiven im Wald, in Situationen, in denen man nicht beliebig seinen Standort wählen kann und vor lauter grünem Wirrwarr der bodennahen Vegetationsschicht auch nicht jede Aufnahmedistanz Sinn macht, muss man flexibel sein. Entweder in der Wahl des „richtigen“ Motivs, also dem an der perfekten Stelle wachsenden Maiglöckchen oder in der Wahl der passenden Brennweite.

Eine schon geringfügig längere Brennweite, wie im Fall 90mm versus 65mm können für das zur Verfügung stehende Vordergrundbokeh einen großen Unterschied machen. Mit dem 65mm musste ich zwangsläufig näher ran und hatte weniger Vegetation zwischen mir und meinem Motiv und so auch weniger Gestaltungsmöglichkeiten für einen weichen, unscharfen Vordergrund.

Um eine Harmonie aus Vordergrundunschärfe und Hintergrundunschärfe zu erreichen, hilft meist nur viel ausprobieren und penibel die Perspektivoptionen auszutesten. So können mit beiden Brennweiten sehr ansprechende, bokehlastige Bildkompositionen gefunden werden. Da beide Objektive – typisch für die I-Series – äußerst kompakt sind, finden sie Platz in den engsten Situationen und sind für mich eine perfekte Ergänzung zu meinem Lieblingsobjektiv für diese Art Fotografie, dem SIGMA 135mm F1,8 DG HSM | Art.

Die kürzere Brennweite und den damit einhergehenden größeren Bildwinkel machen das 65mm und 90mm zu einem perfekten Werkzeug für Situationen, in denen ein großflächiger, kontrastreicher Hintergrund als „Kulisse“ für das Motiv dienen soll. In meinem Fall also Motive am Waldboden.

Neben den Maiglöckchen waren das vor allem die Waldorchideen, so auch das in meiner Region meist in lichten Buchenwäldern vorkommende Weiße Waldvöglein (Cephalanthera damasonium). Das Licht, das durch das Blattwerk des Waldes einfällt, erzeugt ein wunderschönes Bokeh aus Unschärfekreisen und allen möglichen Grün-Gelb-Schattierungen. Und, je kürzer die Brennweite ist, desto mehr dieser „Kulisse“ bekomme ich als Hintergrund für mein Motiv im Bildausschnitt unter.

Apropos Werkzeug

Die Verarbeitungsqualität der I-Series Objektive mit ihren stabilen, komplett aus Aluminium gefrästen Gehäusen und der wertigen Haptik mit separatem Blendensteuerungsring haben mich von Anfang an begeistert. 
Es macht einfach Spaß, diese Objektive in die Hand zu nehmen und mit ihnen zu arbeiten. Mit 405 Gramm für das 65mm und 295 Gramm für das 90mm fallen sie auch im Fotorucksack kaum ins Gewicht. 
Da ich für diese Art der Fotografie die Blende fast immer vollkommen offen lasse, finde ich es zudem praktisch, diese Einstellung direkt am Objektiv vorzunehmen. Denn in der Vergangenheit bin ich in allzu engen und unbequemen Positionen für die Kamera und mich immer wieder versehentlich an ein Drehrad meiner Kamera gekommen und hatte hin und wieder unabsichtlich die Blende etwas geschlossen, ohne es direkt zu merken. Mit dem Blendenring passiert das so gut wie nie. Und auch bei komplett geöffneter Blende ist die Schärfe beider Objektive auch im Nahbereich und bis an die Bildränder absolut top.
Portraitobjektive in der Makrofotografie © Daniel Spohn
65mm – F2 – 1/160s – ISO 200

Die Bildkomposition

Für Makromotive auf offener Flur nutze ich sehr gerne lange Telebrennweiten, um durch den engeren Bildwinkel den Himmel ausblenden zu können und meine Bildkomposition sauberer und ruhiger zu gestalten. Immer wieder finden sich jedoch auch Motive dieser Lebensräume wie Orchideen, Schmetterlinge oder Libellen direkt vor einem Gestrüpp oder Heckensaum. Dann wäre diese Herangehensweise mit starken Teleobjektiven verschenktes, gestalterisches Potential für die Bildkomposition.

Ich möchte diese kleinen Motive in ihrem Lebensraum portraitieren, sodass in der Unschärfe erahnbar wird, wie faszinierend harmonisch sich Motiv und Umwelt zur Natur vereinen. Damit das Motiv nicht von dem Licht und Schattenspiel im Hintergrund geschluckt wird, ist eine penible Perspektivwahl und Nutzung des Motivkontrastes nötig. Ich platziere die Kamera so, dass keine allzu kontrastreichen Bereiche des Hintergrundes direkt hinter dem Motiv liegen und im Idealfall der Kontrast zwischen Motiv und Hintergrund an dieser Stelle maximal wird.

Nicht immer reicht es dabei aus, die Perspektive zu wechseln. Oft führt auch nur ein Wechsel der Brennweite zum Ziel. Um auf jede Situation gerüstet zu sein und um aus fast jeder Möglichkeit ein brauchbares Bild zu bekommen, habe ich bei dieser Art der Fotografie immer eine Fülle an Objektiven dabei. Ich bin froh, jetzt noch flexibler mit meinen Makromotiven arbeiten zu können und das 65mm und das 90mm neben den Art-Objektiven, 135mm F1,8 und 105mm F2,8 MACRO, als ständige Begleiter für Naturausflüge in meinem Fotorucksack zu wissen.

Verwendete Objektive:

Der Autor

 
Daniel Spohn
Naturfotograf

Daniel Spohn, Jahrgang 1981, ist als Fotograf und Biologe weltweit auf der Suche nach einzigartigen und spannenden Geschichten.

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