
Sternenfänger
22 Uhr: Der Wecker klingelt. Und irgendwie versucht mich mein Gehirn noch davon zu überzeugen, dass das alles ein ganz schrecklicher Irrtum ist und ich einfach weiterschlafen muss. Aber nein, da war doch was. Neben mir schnarcht mein Sohn friedlich vor sich hin und langsam löst sich der Nebel in meinem Kopf. Nur heute Abend treffen sich diese Bedingungen wie sonst selten: ein komplett klarer Himmel, Neumond, eine warme Nacht und sogar Wochenende!
22:10: Schnell angezogen, einen Kaffee gemacht, die Kameraausrüstung geschnappt und auf ins Auto. Heute stehen ein Wasserschloss und eine alte Windmühle auf der Speisekarte. Was vorher Tage im Vorfeld geplant wurde, wird heute Realität. Light Pollution Map zeigt mir die Region mit geringer Lichtverschmutzung, PlanitPro hilft mir, die Milchstraße genau an Ort und Stelle zu visualisieren. Und oftmals sind es Google Earth und Street View, die mir das Motiv vom Vordergrund sichtbar machen.
22:45: Die astronomische Dunkelheit beginnt, also die Zeit, zu der es so dunkel ist, dass sich die Milchstraße wirklich zeigt. Deshalb bin ich immer noch ein wenig gestresst. Eigentlich wollte ich doch schon am Spot sein, schon wieder zu knapp geplant. Die letzten paar Meter werden gespurtet. Und da liegt der erste Ort vor mir: ein Wasserschloss mit einem Graben, der bei dieser erstaunlich windstillen und warmen Nacht eine perfekt reflektierende Fläche bietet. Stative ausgepackt, Kameras und Tracker aufgeschraubt und die Komposition gesucht. Und mir fällt ein Stein vom Herzen: bei lichtstarken Festbrennweiten jenseits von f2.0 kann ich die Milchstraße bereits im Live-View der Kamera sehen. Und sie steht perfekt in der Nische zwischen den Bäumen über dem Schloss. Genau wie geplant. Durch den Ultraweitwinkel von 14mm bekomme ich gleich zwei Bilder in einem, den Himmel und die Reflexion der Sterne im Wasser. Das 135mm F1.4 DG | Art bildet einen schönen Kontrast. Nah dran.

30 Bilder verrechnet

23:15: Die Kameras laufen und das müssen sie eine lange Zeit. Denn Sternenlicht ist ein sanftes Licht und hat es schwer, sich durch die Lichtverschmutzung Deutschlands durchzukämpfen. Nur durch lichtstarke Objektive, langes Belichten und Verrechnen der Bilder (sogenanntes „Stacking“) schaffe ich es später, die Details der Milchstraße herauszuarbeiten. Ich selbst stehe jetzt das erste Mal in dieser Nacht neben meinen Kameras und lasse mir den warmen Spätsommerwind um die Nase streichen. Und mir fällt wieder ein, warum ich das Ganze mache: Genau in diesem Moment, wenn die Welt still zu stehen scheint und nur die Sterne über mir funkeln, wenn kein Handy klingelt, keine Aufgabe auf mich wartet. Dann schaue ich nach oben und beobachte das Himmelszelt und spüre eine Ruhe wie sonst selten.
0:30: Mit etwas Euphorie fahre ich weiter zum zweiten Spot. Dass man in einer Nacht zwei Orte schafft, ist schon etwas Besonderes. Dann sehe ich die Wolken. Meine Endgegner. Eine Wolke, um genau zu sein. Eine einzige dicke Wolke schiebt sich über die Mühle hinweg. Das raubt Zeit, denn irgendwann geht dann doch der Mond auf und erleuchtet die Nacht wie eine dicke Christbaumkugel. Die Plejaden, das blau leuchtende Siebengestirn, sind aber unverdeckt und ideal für das 135mm. Und ein bisschen mit dem Bokeh des 14mm 1.4 spielen. Bokeh und Ultraweitwinkel sind zwei Sachen, die man selten zusammen sieht, deshalb reizt es mich und dafür habe ich mir extra einen Blumenstrauß mitgebracht. Und während ich noch ein wenig mit der Einstellung spiele, verschwindet die Wolke Gott sei Dank langsam aus meinem Blickfeld.


43 Bilder verrechnet
2:00: innerlich verfluche ich mich ein wenig: Da sitzt man zu Hause und plant und plant. Und dann muss man sowieso alles über den Haufen werfen. Ich habe noch eine halbe Stunde Zeit, bevor der Mond aufgeht und ich mein Milchstraßenpanorama vergessen kann. Normalerweise besteht so ein Panorama aus 12 Einstellungen vom Himmel und in jeder Einstellung schieße ich fünf Bilder, die ich miteinander verrechne. So viel Zeit habe ich dank der Wolke nicht mehr. Also Blende voll auf und Einzelfotos, hoffentlich passt alles. Die Sterne im Randbereich müssen perfekt rund und scharf sein, sonst findet das Programm, das mir nachher das Panorama zusammenrechnet, keine Verknüpfungspunkte…

40 Bilder verrechnet

3:15: … erschöpft, aber glücklich, falle ich ins Bett. So laufen meine Nächte fast immer. Diesmal hat es denke ich für Ergebnisse gereicht. Das ist den Schlafmangel am nächsten Tag wert, denn den Kindern ist es egal, ob Papa ausschlafen möchte. Das hält mich aber nicht davon ab, wieder rauszugehen. Und all diese Gefühle, Gedanken und Eindrücke, so wie ich sie hier für Euch zusammengefasst habe, kommen jedes Mal wieder, wenn ich eines der Bilder dieser Nacht betrachte. Wir sehen uns unter den Sternen!
Verwendete Objektive:
Der Autor
Lichtscheu findet man ihn meist nachts in seinem natürlichen Habitat unter den Sternen. Dort hört man ihn oft auf Lichtverschmutzung fluchen, Rädchen an der Kamera drehen und laut rufen bei der Sichtung einer Sternschnuppe.
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