Gegen die Norm: Weitwinkel Porträts mit dem SIGMA 10-18mm F2.8 DC DN | Contemporary © Frank Jurisch

Gegen die Norm

Weitwinkel-Portraits mit dem SIGMA 10-18mm F2.8 DC DN | Contemporary

Weitwinkelobjektive gehören zur Architektur- und Landschaftsfotografie, wie Normal- bis Teleobjektive zum Ablichten von Menschen. Das ist nicht nur bei Fotografie-Einsteigern eine gelernte Basis, sondern auch bei vielen erfahrenen Fotografen eine geschriebene Regel. In vielerlei Hinsicht bringen Regeln uns Gewissheit, dass Erwartungen erfüllt werden. So greife auch ich in meiner Fotografie bewusst zu Regeln der Farbharmonie oder Bildkomposition, um sicher zu sein, dass das Ergebnis funktionieren wird.

Ein Ultraweitwinkel als Porträtobjektiv zu verwenden, stellt sich diesen Regeln entgegen. Aber warum ist das so?

„Das macht man nicht“ durchbrechen. 

Regeln durchbrechen. Es gibt sicher viele Argumente, ein Weitwinkel nicht für den Porträtbereich zu verwenden, und wenig, was dafür spricht. Mich persönlich reizt es ungemein, gegen diese Regel zu arbeiten, wo ich nur kann. Rückblickend war es ein Entwicklungsprozess über Jahre gewesen. Der erste Impuls war, wenn ich mich recht entsinne, die Aussage eines Make-up-Artisten vor vielen Jahren.

„Man fotografiert nicht in Nasenlöcher, das geht gar nicht“

Diese Aussage hat mich eine ganze Weile in meiner Fotografie beeinflusst. Immer wenn ich in eine Situation kam, in der ich steile Perspektiven gesucht hatte, ploppte diese Aussage wieder auf.

Irgendwann ist mir klar geworden, dass Entwicklung nur fortschreiten kann, wenn man Neues ausprobiert. Und auch wenn ich mich nicht davon absprechen kann, in fotografische Regeln zurück verfallen, versuche ich immer den Beweis zu erbringen, dass gegen Erwarten dieser Regeln die Fotografie funktionieren kann.

Ab geht’s…

Den Gedanken, ein Weitwinkel für ein Shooting-Projekt zu nutzen, trug ich also schon eine Weile mit mir herum.

In den letzten Jahren sehe ich gerade im Bereich der Modefotografie einen starken Trend zu immer weitwinkeligeren Aufnahmen mit unkonventionellen Lichtsetups. Das SIGMA 10-18mm kam daher genau zum richtigen Zeitpunkt und setzte den Impuls, ein Shooting zu planen.

Hürde „Location“

Als Studiofotograf, der keine große Hohlkehle als Hintergrund hat, sondern auf den regulären 2,72 m breiten Papierhintergründen arbeitet, kam das Studio als Location nicht infrage. Der Blickwinkel des SIGMA 10-18mm F2.8 DC DN führt zwangsläufig dazu, mehr als den Hintergrund auf das Bild zu bekommen. Sicher kann dies auch als Stilmittel genutzt werden, doch mein Studio außerhalb des Frames ist doch eher funktionell und besitzt nicht den Charme eines Loft-Studios. Ein erster Punkt, der sicher gegen ein Weitwinkelobjektiv im Porträtbereich steht. Also raus aus dem Studio, rein in die Location.

Mit Paulus als Wahl des Menschen vor der Kamera, hatte ich die Möglichkeit, mehrere Dinge zu verknüpfen. Paulus ist als Kunststudent an der Kunstakademie Düsseldorf tätig, hat einen guten Modegeschmack, Erfahrung vor der Kamera und durfte einige interessante Räumlichkeiten für das Projekt zur Verfügung stellen. Ideale Rahmenbedingung, um ein Weitwinkelobjektiv einzusetzen. So haben wir eine Base mit einem Studio-Lichtaufbau genutzt und sind zudem auf der Suche nach interessanten Spots durch das geschichtsträchtige Gebäude gezogen.

Was nehme ich mit?

Ich habe aus dem Shooting einige Erkenntnisse mitnehmen können. Kennt ihr das vielleicht auch? Ihr nutzt ein Zoom-Objektiv und stellt fest, dass 80-90 % aller Fotos auf den maximalen Brennweitenbereichen fotografiert wurden? So erging es mir bei dem SIGMA 10-18mm auch. Ein Porträt bei 10mm zu fotografieren und das Motiv etwas freizustellen ist schwierig und funktioniert nur gut, wenn man nicht zu steile Winkel nutzt. Hier hat es mich dann doch immer wieder dazu verleitet, auf 18mm zu zoomen, um etwas flexibler arbeiten zu können. Andersherum fand ich 10mm auf Abstand, mit richtig viel Location auf dem Foto, super spannend. Dabei kann man auch Elemente in den Vordergrund positionieren, um eine weitere Ebene im Bild, gemäß der Regel „Vordergrund macht Bild gesund“, zu erhalten.

Nachträglich habe ich noch einen weiteren Punkt für mich mitnehmen können, der mir während des Shootings so gar nicht in den Sinn gekommen ist. Thema Zeit-ISO-Automatik. Ich nutze die Möglichkeiten moderner Kamerasystem, um mir schlussendlich weniger Gedanken um die Technik während eines Shootings zu machen. Als meine feste Vorgabe der Blende als Stilmittel regelt die Kamera selbständig die Belichtung über Zeit und ISO je nach Lichtsituation. Dabei ist meine Vorgabe, nie länger als 1/250Sek zu belichten, ein Mittel, um verwackelte Fotos zu minimieren. Nun sind derart Verwacklungen bei einem 10-18mm Objektiv nicht so maßgebend wie bei Porträt Brennweiten. Ich hätte somit längere Belichtungszeiten der Automatik zulassen können, um möglichst niedrigere ISO Werte, und somit wenig Bildrauschen zu erhalten. So sind viele Fotos zwischen ISO 200-800 belichtet, was natürlich bei den meisten Kameras noch keine Probleme in der Bildqualität darstellt.

Technik darf nicht fehlen

Natürlich habe ich mir das Objektiv auch von der technischen Seite angeschaut und möchte einige Dinge, die mir aufgefallen sind, niederschreiben. Optisch reiht sich das Objektiv nahtlos in das vorhandene APS-C-Portfolio von SIGMA ein. Mit 72,2 mm Baulänge ist es dabei schön kompakt. Aufgefallen ist mir, dass bei 10mm das Objektiv ausgefahren ist, und sich der Zoomring vorne, sowie der Fokusring hinten am Objektiv befindet. Das ist in Bezug auf die breite Masse an Objektiven sicher ungewöhnlich, fühlt sich beim manuellen Fokussieren aber überraschend angenehm an. Manuelles Fokussieren und Zoomen sind dabei leichtgängig. Der Autofokus ist wie gewohnt schnell, zuverlässig und kaum hörbar. Auch ungewöhnlich ist die neue Streulichtblende, die ein neues Einrastsystem hat, welches super funktioniert, ich aber noch nicht genau verstanden habe, wie sie es gemacht haben. 🙂

Die Naheinstellgrenze ab Sensorebene liegt bei 11,6 cm, was dann einfach mal bedeutet, dass man ca. 2 cm vor dem Objektiv scharf stellen kann. Dadurch ergeben sich außergewöhnliche Möglichkeiten, im Nahbereich zu fotografieren.

Das Objektiv ist mit einer Offenblende von F2.8 lichtstark und hat einen Filterdurchmesser von 67 mm. Erhältlich ist es für L-Mount, Sony E-Mount, Fujifilm X Mount.

Ein schönes Objektiv, welches durchaus auch im Bereich Porträtfotografie Spaß macht und zum Experimentieren einlädt.

Model: Paulus Goerden

Verwendete Objektive:

Der Autor

 
Frank Jurisch
Portraitfotograf

Frank Jurisch ist ein Studiofotograf und Workshopleiter aus Oberhausen. In seinem Studio arbeitet er ausschließlich mit LED Dauerlichtern und hat den Fokus auf Lichtsprache gesetzt. Zudem hat er eine Leidenschaft für die Beautyretusche und kann sich darin stundenlang verlieren.

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