Von Bären und Blümchen © Daniel Spohn

Von Bären und Blümchen

Naturfotografie mit dem SIGMA 135mm F1,8 DG HSM | Art

Lichtstarke Portraitobjektive lassen sich meist in feinen Brennweitenabstufungen bei fast allen Fotografen und Fotografinnen finden, die ihren Schwerpunkt in der People-, Studio- und eben Portraitfotografie gefunden haben. Doch auch für nicht-menschliche Portraits eignen sich diese Objektive für geringe Schärfentiefe und massig Bokeh. Natürlich kann man prinzipiell mit jedem Objektiv jedes Motiv fotografieren, doch die Eigenschaften und Eigenheiten eines Objektivs gezielt für seine Bildidee auswählen und einsetzen, ist in der Natur mindestens ebenso wichtig wie im Studio. Bei welchen Bildern ich das 135mm F1,8 mit Vorliebe einsetze, darum geht es in diesem Blogbeitrag.

Von Bären und Blümchen © Daniel Spohn
1/400 – F1,8 – ISO 200

Die Objektivauswahl

Fangen wir ganz vorne an: Wieso entscheide ich mich in den meisten Fällen ausgerechnet für das 135mm Objektiv und seltener für das 50mm F1,4, 85mm F1,4 oder 105mm F1,4?

Das hat drei Hauptgründe:

  • Zum einen hilft mir die größere Brennweite und der damit einhergehende engere Bildwinkel dabei, den Hintergrund für mein Motiv selektiver zu wählen. Der kleinere Bildwinkel erfordert weniger Hintergrundfläche und so kann ich viel einfacher, die in der Natur häufig vorkommenden, störenden Elemente aus dem Bildausschnitt rauslassen und erhalte einen cleaneren Look. Lichtstarke Objektive erzeugen zwar automatisch bei Offenblende eine gute Freistellung durch eine sehr stark reduzierte Schärfentiefe, aber zu einem schönen Bokeh, einer guten Blickführung und einem cleanen Bildlook gehört noch weitaus mehr, doch dazu später.
  • Der zweite Aspekt, der für die aktuell längste Art-Brennweite spricht, ist natürlich der Arbeitsabstand. Zum einen komme ich so gefühlt näher an mein gegebenenfalls flüchtiges Motiv, zum anderen komme ich mit dem 135mm auch tatsächlich näher an mein Motiv heran.
    Und das bringt mich direkt zum dritten Punkt:
  • Die Naheinstellgrenze. Gerade wenn ich in der Natur auch kleinere Motive portraitieren möchte, ist der Abbildungsmaßstab und die dafür maßgebliche Naheinstellgrenze des Objektivs entscheidend. Diese minimale Fokusentfernung von 87,5cm beim 135mm ermöglicht mir einen maximalen Abbildungsmaßstab von 1:5.
    Bei nicht allzu winzigen Motiven absolut ausreichend für bokehlastige, bewusst nicht zu formatfüllende Bildkompositionen mit Raum für Kontext und Story. Darunter fallen zum Beispiel viele Pflanzenarten des europäischen Frühjahrs und Sommers, wie beispielsweise Schneeglöckchen, Küchenschellen, Schlüsselblumen, Bärlauch oder die zahlreichen Orchideenarten vor meiner Haustür im Saarland. In diesem Punkt bleiben die anderen Kandidaten deutlich zurück.
    Für das 105mm mit 100cm Naheinstellgrenze ergibt sich ein maximaler Abbildungsmaßstab von 1:8,3. Ein ähnliches Verhältnis erreicht das 85mm bei 85cm mit 1:8,5. Für die DG HSM Version des 50mm sind es bei 40cm hingegen schon sehr gut einsetzbare 1:5,6, mit der Einschränkung des oben erwähnten größeren Bildwinkels und somit größerer, notwendiger Hintergrundfläche für das Motiv.
    Beim 50mm DG DN ist bei 45cm und 1:6,8 das Limit erreicht. Je nach vorgefundener Situation lassen sich mit all diesen sehr lichtstarken Portraitobjektiven auch in der Naturfotografie geeignete kleinere Motive und Bildkompositionen finden, das 135mm erlaubt mir aber den größten Spielraum.

Die kleinen Motive in den Fokus setzen

Bleiben wir noch einen Moment bei den kleinen Motiven: den Blümchen.

Gerade zu Blüten passt ein sehr weiches, verspieltes Bokeh, eine zarte Unschärfe, die mit dem Hauptmotiv harmoniert und dem Motiv genügend Raum lässt. Die Distanz zum Motiv, meinen Arbeitsabstand, nutze ich dabei, um auch den Vordergrund für die Bildkomposition mit einer weichen Unschärfe gestalterisch einzusetzen.

Von Bären und Blümchen © Daniel Spohn
1/1.000 – F1,8 – ISO 200

Ich möchte zu allen Bildseiten einen weichen Abschluss und keine scharfen oder besonders kontrastreichen Strukturen, die den Blick an den Bildrand führen. Der Blick der Betrachter:innen soll möglichst lange im Bild, auf dem Hauptmotiv bleiben. Gerade dieser weiche untere Bildabschluss ergibt sich mit dem 135mm quasi automatisch, wenn man die Kamera auf den Boden – zu dem Motiv – legt.

Für die Blickführung ebenfalls wichtig: Der Motivkontrast.

Ich wähle meine Perspektive möglichst so, dass hinter meinem Hauptmotiv der hellste Bereich des Hintergrundes und des gesamten Bildausschnitts zu liegen kommt – der Motivkontrast dort maximal wird. Bei Gegenlichtsituationen eigenen sich hierfür z. B. kontrastreiche Unschärfekreise wie beim Portrait des Schneeglöckchens oder die Lichtsäume „haariger“ Motive wie bei den Küchenschellen und Schlüsselblumen, um den Kontrast und somit die Aufmerksamkeit zu erhöhen.

Von Bären und Blümchen © Daniel Spohn
1/50 – F1,8 – ISO 1.600

Entstehen solche kontrastreichen Bildbereiche jenseits des Hauptobjektes, konkurrieren sie mit diesem um den Blick der Betrachter:in. Diese Konkurrenz ist prinzipiell unabhängig davon, ob der Bereich ebenfalls in der Schärfeebene oder völlig in der Unschärfe liegt.

Starke Kontraste ziehen unseren Blick immer an, lenken ihn in solchen Fällen aber unnötig vom Motiv ab. Sie sind also unserem Hauptmotiv vorbehalten, können aber auch helfen, spannende Nebenmotive und somit Kontext sichtbarer zu machen.

Vor allem die Größe und Form der Unschärfekreise ist mit Motiven im Nahbereich und durch die neun abgerundeten Blendenlamellen des 135mm F1.8 Art genial und die Schärfe auf dem Fokuspunkt trotz Offenblende absolut überragend.

Wenn größerer Arbeitsabstand von Nöten ist

Bei wildlebenden Bären kann ich mir diese Techniken nur bedingt zunutze machen, wenn auch das Prinzip gleichbleibt. Was bei solch größeren Motiven mit größerem Arbeitsabstand gegen mich spielt, ist die Physik.

Je weiter mein Motiv und somit mein Fokus von der Naheinstellgrenze Richtung Ferne wandert, desto mehr Schärfentiefe bekomme ich bei identischer Brennweite und Blendeneinstellung.

Von Bären und Blümchen © Daniel Spohn
1/1.000 – F1,8 – ISO 800

Hier kann mich nur die Perspektive retten und ich werde nie die Bokehwirkung wie im Nahbereich erzielen und auch Unschärfekreise fallen deutlich kleiner aus. Trotzdem werden bei Offenblende von 1.8 auch Braunbären dezent von ihrer Umgebung freigestellt und der natürliche Lebensraum tritt – noch gut erkennbar und nicht völlig aufgelöst – in die Unschärfe zurück.

Bei diesen Bildkompositionen ist mir der Lebensraum mindestens genauso wichtig wie das Hauptmotiv selbst.

Formatfüllende Bärenportraits mit Superteleobjektiven haben zwar auch ihren Reiz, können aber prinzipiell in jedem Zoo gemacht werden. Bei wildlebenden Bären möchte ich die Wildnis drumherum mit einfangen, sie dem/der Betrachter:in zeigen, aber es sollte auch nicht zum Landschaftsbild mit durchgängiger Schärfentiefe ausarten, in dem der Bär völlig untergeht.

Von Bären und Blümchen © Daniel Spohn
1/640 – F1,8 – ISO 3.200

Dieser Spagat gelingt mir mit dem 135mm bei Offenblende in den meisten Situationen sehr gut. Natürlich ist es auch hier hilfreich, wenn nicht sogar noch wichtiger als bei den Blümchen, dass ich mich nicht ausschließlich auf die Blickführung durch selektive Schärfe und Unschärfe verlasse, sondern auch die Kontraste für mich arbeiten lasse.

Sei es der Bär, der von einem durchs Blätterdach einfallenden Lichtstrahl vom dunklen Waldhintergrund isoliert wird oder der dunkle Bär vor der durch Nebelschwaden aufgehellten Waldkulisse.

Es sind genau diese Bilder, die mir lange in Erinnerung bleiben und welche die Situation vor Ort mit all ihren Emotionen besser transportieren. Bilder, die durch ihre Komposition einen Ausschnitt aus dem Leben der Bären in ihrem natürlichen Lebensraum erzählen.

Auch in der Naturfotografie machen also lichtstarke Portraitobjektive wie vor allem das 135mm absolut Sinn. Denn sie ermöglichen uns einen einzigartigen Eindruck von der Natur und einen emotionalen Einblick in die Lebenswelt ihrer Bewohner, wie er anders kaum in dieser Ästhetik realisierbar ist. 

Verwendete Objektive:

Der Autor

 
Daniel Spohn
Naturfotograf

Daniel Spohn, Jahrgang 1981, ist als Fotograf und Biologe weltweit auf der Suche nach einzigartigen und spannenden Geschichten.

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