Weitwinkel ist nicht gleich Weitwinkel – Wenn jeder Millimeter zählt © Daniel Spohn

Weitwinkel ist nicht gleich Weitwinkel – Wenn jeder Millimeter zählt

Lichtstarke Weitwinkelobjektive hatten in der Vergangenheit oft eines gemeinsam: Sie waren recht schwer und fanden deswegen nur für sehr spezielle Anwendungsmöglichkeiten den Weg in meinen Fotorucksack. Diese Zeiten sind nun vorbei und so begleiteten mich sowohl das SIGMA 20mm F2 DG DN | Contemporary, als auch das SIGMA 24mm F2 DG DN | Contemporary einmal in die Arktis Nord-Norwegens und danach ins tropische Costa Rica. In welchen Situationen die 4mm Brennweitenunterschied ausschlaggebend für die Bildwirkung waren und wo die Stärken der beiden Objektive liegen, habe ich an den unterschiedlichsten Motiven getestet.

Landschaftsfotografie und große Bildwinkel gehören einfach zusammen. Für eine durchgehende Schärfe vom Vorder- bis zum Hintergrund blende ich am Kleinbildsensor meistens recht stark ab und nutze für eine penible Bildkomposition ein Stativ und für die Steuerung der Lichtverteilung im Bild ein Filtersystem mit Grauverlaufsfiltern.
Entschleunigung pur! Egal ob an den Fjordküsten Norwegens oder den Pazifikstränden Costa Ricas, das intensive, fast schon meditative Arbeiten mit dem Motiv und dem Licht macht die Landschaftsfotografie für mich immer wieder spannend und abwechslungsreich.

Die meiste Zeit investiere ich beim Arbeiten mit Weitwinkelobjektiven in die Wahl des optimalen Standpunktes und der Perspektive für meine Bildkomposition und eine adäquate Blickführung. Mit einem Weitwinkel-Zoom-Objektiv erliegt man schnell der Versuchung sich seinen Bildausschnitt zurecht zu zoomen. Doch gerade mit einem großen Bildwinkel ist die Positionierung der Kamera echte Zentimeterarbeit. Schon kleinste Änderungen des Standpunktes und der Perspektive führen zu teils gravierenden Verschiebungen von Vorder-, zu Mittel- und Hintergrund. Diese Parallaxenverschiebung mache ich mir zunutze, um wichtige Elemente in meinem Bild voneinander zu separieren oder auch, um gezielt unerwünschte Elemente zu verdecken.

Ein kleines Beispiel:

In einer nur zur Ebbe zugänglichen Höhle an der Pazifikküste Costa Ricas gab es im Grunde nur diese eine Position, um die Felsen harmonisch im Bild anzuordnen. Hatte ich diese Position gefunden, konnte ich mit dem 20mm die Höhlenwände und -decke als Bildabschluss nutzen. Mit dem 24mm war das durch den etwas kleineren Bildwinkel von diesem Standpunkt aus nicht möglich und ich hätte tiefer in die Höhle gehen müssen. Das war prinzipiell zwar möglich, aber dann hätte sich die relative Position der Höhlendecke zu den Brandungsfelsen geändert und die harmonische Positionierung wäre dahin.
Durch einen etwas tieferen Standpunkt wäre die Verschiebung an dieser Stelle zwar korrigiert gewesen, doch ein Rattenschwanz anderer Probleme wäre entstanden: Die Draufsicht auf die Brandungszone wäre verloren und die in der Tiefe gestaffelten Felsen hätten sich durch die niedrigere Perspektive überlagert und wären nicht mehr als einzelne, von der Brandung umspülte Felsen wahrnehmbar gewesen. Festbrennweiten entschleunigen meine Fotografie, genau wie Stativ und Filtersystem und alles was mich entschleunigt, gibt mir die so elementar wichtige Zeit, mich detailliert mit meinem Motiv und meiner Bildkomposition auseinanderzusetzen.

Um die Betrachter meiner Fotos virtuell in die Situation zu versetzen, also die Location für sie erlebbar zu machen, beginnt mein Bildausschnitt oft schon ein bis zwei Meter, oder auch mal nur wenige Zentimeter vor meiner Frontlinse. Dabei gehe ich meist näher an meinen Vordergrund heran, je weiter mein Bildwinkel ist. Dadurch verhindere ich, dass ein Wimmelbild entsteht in dem der Vordergrund das Bild überfrachtet. Ich suche mir ein Detail im Vordergrund, welches ich durch die Nähe betone.
Mit dem 20mm war ich dann oft im Hochformat unterwegs und habe in Norwegen beispielsweise morsche Baumstämme oder auch Wasserpfützen als Ankerpunkt fürs Auge und zur Blickführung zum Hauptmotiv im Hintergrund verwendet. In den Regenwäldern Costa Ricas war meine Vorgehensweise ähnlich und die Frontlinse des 20mm nur wenige Zentimeter von den großen, marmorierten Blättern des „Seltenen Baumfreund“ (lat.: Philodendron verrucosum) entfernt. Dessen große, markante Blätter geben dem Blick Halt und einen Orientierungspunkt in dem grünen Durcheinander und sind für die Tiefenwirkung des Bildes enorm wichtig.

Beide Weitwinkelobjektive der I-Serie sind mit Offenblenden von F2,0 besonders lichtstark und dadurch ergeben sich viele weitere Anwendungsmöglichkeiten: Kurze Belichtungszeiten bei wenig Licht, wie bei der Nachtfotografie, oder aber auch eine gute Portraitwirkung, vor allem mit einem Motiv im Nahbereich und einem schönen Bokeh im Hintergrund. So konnte ich die mitten im Regenwald in ihrem Netz sitzende Goldene Seidenspinne gut freistellen und optisch vom Hintergrund isolieren. Gerade bei Portraits mit Weitwinkelobjektiven kann ich mit den Proportionen des Motivs spielen. Bei dem sich zu mir drehenden Tapir werden Kopf und Rüssel größer abgebildet als der Rest des Körpers und so rückt diese liebenswerte Besonderheit dieser Tierart in den Mittelpunkt. Ich liebe Tapire. Doch dieser Effekt hat auch seine Nachteile, denn je größer mein Bildwinkel, desto winziger erscheint der Hintergrund in meinem Bild und desto mehr interessanten Hintergrund brauche ich für eine ausgewogene Bildwirkung.

Ein weiteres Beispiel: Eine der vielen felsigen Buchten Costa Ricas öffnet sich nach rechts zu einem Sandstrand. Mein Motiv war schnell klar: Eine von der untergehenden Sonne angestrahlte, sich ins Bild neigende Palme, ein paar Felsen im Mittelgrund und die Sonne mit der warmen Lichtreflexion auf dem Wasser daneben. Eine Öffnung des Bildes nach rechts hätte keine neuen, bildwichtigen Informationen gebracht und der leere Sandstrand das Bild ins Ungleichgewicht gebracht. Hier war der etwas kleinere Bildwinkel des 24mm einfach ideal.

Doch zurück zur Lichtstärke:

Nightscapes – Landschaften bei Nacht zu Fotografieren hat einen ganz besonderen Reiz, vor allem wenn in Nord-Norwegen die Aurora Borealis über den Fjorden tanzt. Bei einem Sonnenwindsturm und den dadurch schnellen Bewegungen der Nordlichter kommt es auf relativ kurze Belichtungszeiten an, um die Aurora mit ihrer Struktur auf den Sensor zu bekommen und nicht stattdessen einen grün verschmierten Himmel durch zu lange Verschlusszeiten zu erhalten. Hier ist – wie so oft in der Fotografie – ein Kompromiss gefragt, denn die Landschaft in dieser Bildkomposition benötigt eine gewisse Schärfentiefe. Extreme Offenblenden von F1,2 oder F1,4 sind für solche Single-Shot Bilder nur bedingt geeignet. In diesem Fall konnte ich das 24mm sogar noch eine volle Blendenstufe auf F2,8 abblenden und erhielt 2 Sekunden Belichtungszeit bei ISO 3200 und eine gute Schärfe im gesamten Bild.

Bemerkenswert ist, dass – eine entsprechende Belichtungszeit vorausgesetzt – am äußersten Randbereich des Bildes die Sterne selbst bei Offenblende perfekt punktförmig abgebildet werden. So macht Nachtfotografie Spaß. Bei sehr dynamischen Nordlichtern wird die Aurora selbst schnell zum Hauptmotiv und um die spontanen Bewegungsmuster auch am Himmel direkt über mir möglichst gut einfangen zu können, half der Öffnungswinkel von 94,5 Grad des 20mm ungemein. Der angedeutete Horizont und die kleine Holzhütte im Wald reichen mir als Bezugspunkt aus und so konnte ich dem Nordlicht den gebührenden Raum geben.

Nehme ich dagegen punktförmige Lichtquellen wie den Mond oder auch die Sonne ins Bild, dann blende ich gerne stärker ab, damit mir die neun Blendenlamellen der beiden Objektive diese für meinen Geschmack besonders schönen 18 Blendenstrahlen um die Lichtquelle bescheren. Schon bei Blende 8 kommen diese deutlich zum Vorschein und gefallen mir persönlich ab Blende 13 besonders gut.

4 mm mehr beziehungsweise 4 mm weniger Brennweit ist im Weitwinkelbereich eine ganze Menge – genau genommen sind es 10,4 Grad Unterschied im Öffnungswinkel – und bei nur knapp über 7 cm Länge und nur etwa 370 Gramm pro Objektiv fällt mir die Entscheidung, welches der beiden I-Series Objektive in meinem Fotorucksack landet, denkbar leicht: Beide.

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Der Autor

 
Daniel Spohn
Naturfotograf

Daniel Spohn, Jahrgang 1981, ist als Fotograf und Biologe weltweit auf der Suche nach einzigartigen und spannenden Geschichten.

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