„Herbsttag“, ein Rilke Gedicht © Ines Mondon

„Herbsttag“ ein Rilke Gedicht

Stammleser des SIGMA Blogs werden es schon kennen, dass ich in unregelmäßigen Abständen Artikel schreibe, die sich mit der fotografischen Interpretation eines Gedichtes befassen. Ich persönlich finde diese Auseinandersetzung sehr spannend und es macht mir jedes Mal sehr viel Spaß. Meist sind das Naturgedichte, oder welche, die sich insbesondere mit den Jahreszeiten und deren Zyklus und Wechsel beschäftigen.

Es sind Artikel, welche sich nicht vordergründig mit Technik und Equipment auseinandersetzen, wo Brennweiten und Einstellungen nicht so präsent sind. Trotzdem spielt zuverlässige Technik dabei keine unwesentliche Rolle und an dieser Stelle sei gesagt, dass ich diesmal sehr viel mit dem SIGMA 105mm F1,4 DG HSM | Art gearbeitet habe, welches durch die Brennweite, Lichtstärke, aber insbesondere durch das phantastische Bokeh einfach sehr komfortabel und ein Genuss ist, um schöne Fotos zu machen 

Auch diesmal geht es wieder um eine Jahreszeit, und zeitgemäß ist es natürlich der Herbst. Das Gedicht „Herbsttag“ von Rainer Maria Rilke, welches er 1902 in Paris schrieb gehört für mich zu den schönsten und auch emotionalsten Gedichten. Der Wechsel von Sommer zu Herbst ist zweifellos ein Wechsel der Jahreszeiten, welcher für den Menschen mit besonderen Emotionen verbunden ist. Viele kennen möglicherweise dieses Gefühl von Abschied, von Verlust, welches sich einstellt, wenn der Sommer sich dem Ende zuneigt und man irgendwann erkennt, dass diese schöne Jahreszeit nun wirklich vorbei zu sein scheint. Anders als im Frühling, welcher für viele Menschen Hoffnung und Aufbruch symbolisiert, ist der Herbst auch mit einer gewissen Melancholie verbunden, das Gefühl der Sommer wäre viel zu kurz gewesen, das Gefühl man wäre noch lange nicht bereit den Sommer gehen zu lassen. Auch wenn der Herbst mit seinen bunten Farben, dem schönen Licht, insbesondere auch fotografisch sehr reizvoll ist, so sind die kürzer werdenden Tage, die regnerischen windigen Tage, die Kälte und das Vergehen in der Natur auch Attribute, welche eine gewisse Schwere und Traurigkeit in sich tragen.

Während sich der erste Teil des Gedichtes vordergründig mit den Dingen beschäftigt, welche in der Natur geschehen, spannt Rilke zum Schluss den Bogen zum Menschen und lässt auch viel Spielraum für Interpretation. Der Herbst als Symbolik für das Alter, die mögliche Einsamkeit und, dass man bis dahin ein zu Hause gefunden haben sollte.

Und auch wenn der Beginn des Gedichtes fast ein bisschen wie ein Gebet klingt, denke ich, dass der religiöse Bezug nicht so vordergründig ist und dieses Gedicht auch Menschen anspricht, die sich damit nicht identifizieren können.

Für mich verkörpert dieses Gedicht eine poesievolle Erinnerung an den vergangenen Sommer, gleichzeitig auch einen Blick auf die schönen Seiten des Herbstes mit durchaus auch einem weinenden Auge und einer Melancholie.

Wer regelmäßig meine Artikel liest, wird wissen, dass ich ein großer Fan von Projekten in der Fotografie bin und solche auch als etwas betrachte, was einen großen Lernfaktor darstellt und viele kreative Möglichkeiten eröffnet. Insofern kann ich auch die Illustration oder die fotografische Auseinandersetzung mit Gedichten dahingehend empfehlen. Die Verknüpfung von Poesie und fotografischer Kreativität macht unheimlich viel Spaß und ist sehr inspirierend. Allen Lesern des Blogs wünsche ich einen lichtvollen und farbenfrohen Herbst, aber auch die Muße und den Frieden die stillen und eher etwas düsteren Tage zu genießen und zu nutzen.

Herbsttag

vom Rainer Maria Rilke, 1875-1926

Herr: es ist Zeit. Der Sommer war sehr groß.
Leg deinen Schatten auf die Sonnenuhren,
und auf den Fluren laß die Winde los. 

Befiehl den letzten Früchten voll zu sein;
gib ihnen noch zwei südlichere Tage,
dränge sie zur Vollendung hin und jage
die letzte Süße in den schweren Wein.

„Herbsttag“, ein Rilke Gedicht © Ines Mondon

Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr.
Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben,
wird wachen, lesen, lange Briefe schreiben
und wird in den Alleen hin und her
unruhig wandern, wenn die Blätter treiben.

 
Ines Mondon
Makrofotografin

Ines Mondon ist SIGMA Referenzfotografin, Buchautorin, gibt Workshops und hält Vorträge. Sie ist außerdem ehrenamtliche Fotografin für die Organisation „Dein Sternenkind“. Ihre Schwerpunkte sind die Makrofotografie und ein Stück weit die Landschaftsfotografie, sowie die abstrakte und Detailfotografie.  Ihre Stilmittel sind häufig gefühlvolle und pastellige Bilder, welche die Grenze zur Malerei berühren.

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