Analogfotografie © Oliver Hilger

Analogfotografie

Art trifft Analog

Ja, analoge Fotografie ist langsamer. Und ja, die Schärfe der Fotos kommt an die von hochauflösenden digitalen Sensoren nicht annähernd heran. Der Dynamikumfang von Film ist schlechter und man wartet in der Regel rund zehn Tage, bis er endlich entwickelt ist.  Aber: analoge Fotografie hat gerade in der heutigen Zeit, da sich die digitale Fotografie einem Perfektions-Sättigungsgrad von 100% nähert, einen ganz besonderen Reiz: Den des Unperfekten. Und einen nicht unerheblichen Entschleunigungseffekt. Zum einen beim Fotografieren selbst. Mit einem Kontingent von maximal 36 Schuss pro Filmpatrone arbeitet man automatisch sorgfältiger, hält vor dem Abdrücken noch einmal einen kurzen Moment inne und fragt sich: Passen alle Einstellungen? Brauche ich dieses Bild auch wirklich? Und wenn man dann endlich die Fotoauftragstüte mit dem entwickelten Film und den Abzügen in der Hand hält und den selbstklebenden Verschluss öffnet, hat man oft schon vergessen, was alles auf dem Film drauf war. Und jedes Mal aufs Neue fühlt man sich ein wenig wie beim Geschenkeauspacken an Weihnachten.

Der Fortschritt

In den vergangenen Jahrzehnten, ganz besonders in den letzten 15 Jahren, haben wir uns an den technischen Fortschritt im Zeitraffertempo gewöhnt. Die Megapixelzahlen der Sensoren liefern sich noch immer ein Wettrennen. Gleichzeitig hat sich das Rauschverhalten immer weiter verbessert, so dass Signalverstärkungen auf ISO 3200 oder mehr noch brauchbare Bilder hervorbringen. Auch verwackelte Fotos als Folge von Aufregung oder exzessivem Kaffeekonsum gibt es nur noch selten – die meisten spiegellosen Kameras profitieren vom eingebauten Bildstabilisator. Im gleichen Zuge sind auch die Objektive immer besser, schärfer, fehlerloser geworden. In der analogen Fotografie war der Einsatz von hochlichtstarken Objektiven bei Offenblende eher eine Ausnahme – meist dann, wenn es einfach nicht anders ging oder eine hohe Bildschärfe keine große Rolle gespielt hat. Spätestens 2013 mit der Einführung des SIGMA 35mm F1,4 DG HSM | Art war plötzlich alles anders. Schon bei Offenblende waren die Bilder mustergültig scharf und Bildfehler bestens korrigiert. Super scharfe digitale Fotos mit dreidimensionalem Freistellungseffekt waren fortan kein Problem mehr.

Analaogfotografie © Oliver Hilger

Wie wäre es mit einer kleinen Zeitreise?

Wir packen ein paar lichtstarke Festbrennweiten der Art-Serie ein und reisen knapp 21 Jahre zurück zur Jahrtausendwende. Gut – eine Zeitmaschine war auf die Schnelle nicht aufzutreiben und der DeLorean aus „Zurück in die Zukunft“ gerade in der Inspektion. Doch zum Glück funktionieren die analogen Kameras von damals auch heute noch. Vor allem die EOS-Modelle von Canon. Schließlich haben die Japaner ihr damals futuristisches Bajonett bei Spiegelreflexkameras bis heute nicht geändert.

Projekt Analog

Als mir zeitgleich ein befreundeter Nachwuchsfotograf erzählte, er habe sich gerade eine Canon EOS 1N zugelegt und wolle nun mit der Analogfotografie beginnen, war das „Projekt Analog“ geboren. Einen Tag lang begaben wir uns in Stuttgart auf Motivsuche und belichteten mit zwei EOS 1N, einer EOS 3, einer EOS 30 sowie einer EOS 300 knapp 30 Negativfilme. Zum Einsatz kamen wechselweise folgende Objektive:

Verjüngungskur für den Autofokus

Schon beim ersten Anvisieren von Objekten wird klar: Auch wenn die Anzahl der Fokuspunkte im Vergleich zu heute vor rund 20 Jahren noch sehr gering war und diese ziemlich dicht um das Bildzentrum verteilt waren – die modernen AF-Motoren machen den betagten Kameras Beine. Bei statischen Motiven funktionierte das Scharfstellen blitzschnell. Lediglich bei der Präzision hinken die Kameras von damals ein wenig hinterher. In der Praxis sollte man jedes Motiv nach dem ersten Auslösen am besten noch einmal neu anvisieren und ein zweites Foto machen. Dann sitzt der Fokus bei mindestens einem der beiden auch dort, wo er hingehört.

Ungewohnter Look

Besonders begeistert war Michael Treumann (Instagram @mike_creativestudio) vom 85-Millimeter-Objektiv. „Ich mag den Look einfach. Die Freistellung vom Hintergrund ist der Wahnsinn. Und gerade bei Porträts ist der Look einfach perfekt“, lautet das Urteil des 22-Jährigen aus Freiburg. Doch mit Lichtstärke 1,4 lassen sich selbst mit einem 24-Millimeter-Objektiv tolle Freistellungseffekte erzielen, wie man sie in der analogen Zeit kaum kannte.

Die Sonnenseite der Lichtstärke

Doch nicht nur das Bokeh und die Schärfeleistung bei Offenblende macht die Festbrennweiten der Art-Serie zum besten Freund der analogen Kameras von damals. Ein großer Vorteil ist die große Menge an Licht, die auf den Film trifft. Denn anders als bei modernen Digitalsensoren gewohnt, ist der ISO-Wert starr und lässt sich erst beim Einlegen der nächsten Rolle Film wieder verändern. Die heute gebräuchlichen Filme, die man zu einem günstigen Kurs in Drogeriemärkten kaufen kann, haben entweder 200 oder 400 ISO. Nicht gerade viel, wenn die Sonne bereits untergegangen oder schnelle Bewegungen eingefroren werden sollen. Immerhin waren die Verschlusszeiten im Profilager schon anno dazumal auf der Höhe der Zeit: sowohl die EOS 1 N, als auch die EOS 3 bieten eine 1/8000 Sekunde als kürzeste Verschlusszeit.

Der richtige Film

Ihr volles Potenzial konnten das 85er und das 135er bei einem Porträtshooting mit Model Jonas (Instagram @jns.ha) ausspielen. Dabei kamen primär zwei Filmtypen zum Einsatz: Der weltweit bekannte, recht günstige und beliebte Kodak Gold 200 sowie der wesentlich teurere Kodak Professional Portra 400, der als feinkörnigster Farbnegativfilm mit 400 ISO gilt. In der Praxis waren die Unterschiede auf den Abzügen aus dem Drogeriemarkt-Großlabor geringer als erwartet. Während sich beide bei Körnigkeit und Schärfe nur wenig schenken, wirken die Kodak Gold Abzüge etwas wärmer, die Abzüge vom Portra-Profifilm eine Spur farbtreuer.

Von analog zu digital

Thema Farbtreue: Der zeitraubendste Aspekt der Analogfotografie ist die Überführung des belichteten Negativs in ein digitales Bild. Denn in der Praxis reicht uns der Abzug im Fotoalbum meist doch nicht aus. Man will den tollen analogen Look möglichst authentisch in ein Jpg-Bild überführen. Doch selbst mit der ausgereiften Silverfast-Scansoftware und einem Mittelklasse-Scanner wie dem Epson Perfection V600 ist ein gutes Scanergebnis echte Fleißarbeit. Und äußerst zeitraubend. Während Michael Treumann alle Filme gleich im Großlabor scannen und auf CD brennen ließ, habe ich einen Teil selbst gescannt und nur einen Teil beim Entwickeln digitalisieren lassen. Das Ergebnis ist eindeutig: Die deutlich ausgewogeneren Scans, die in Sachen Farbtreue dem Look der Papierabzüge entsprechen, kommen aus dem Großlabor. Wer nur gelegentlich analog fotografiert und seine Bilder auch digital zur Verfügung haben will, der kann sich die Anschaffung eines Scanners getrost sparen. An das Ergebnis der automatisierten Scans kommt man eh nicht heran. Und die gewonnene Zeit kann man wiederum zum Fotografieren nutzen.

Fazit: Probiert es mal aus!

Gerade mit hochlichtstarken Festbrennweiten macht die analoge Fotografie noch mehr Spaß. Die enorme Freistellung vom Hintergrund bei gleichzeitig enormer Schärfeleistung hebt die Abzüge von den Bildern, die man vielleicht noch von damals in einem Fotoalbum findet ab. Und die Farben sowie die Körnigkeit wirken einfach organischer, echter als wenn man ein digitales Foto durch einen Retro-Filter laufen lässt. Also schaut einmal in der hintersten Ecke eures Fotoschranks, ob da nicht noch ein längst vergessenes analoges Schätzchen auf seine Wiederentdeckung wartet. Und falls nicht ist die Auswahl an günstigen Gebrauchtkameras im Netz riesig. Eine EOS 300, die bereits mit einem zuverlässigen und modernen Belichtungssystem aufwartet, findet man oft schon unter 25,- Euro. Und das sollte einem eine spannende Zeitreise doch wirklich wert sein. Probiert es doch einfach mal aus!

Alle Bilder dieses Beitrags in der Übersicht

Oliver Hilger und Michael Treumann

Fans der analogen Fotografie! Oliver Hilger und Michael Treumann haben für Euch ihre Leidenschaft in Worte gefasst.

Oliver Hilger fotografiert seit Anfang der 90er Jahre mit SIGMA Objektiven. Sein erstes Objektiv, damals noch aus der analogen Zeit, war ein SIGMA 28-70mm F3,5-4,5 UC Zoom Objektiv. Seit Mitte 2020 widmet er sich zusätzlich zur digitalen wieder verstärkt der analogen Fotografie. „Einfach weil es Spaß macht“, wie der Stuttgarter sagt.

Michael Treumann bekam seinen ersten Fotoapparat im Alter von 15 Jahren zum Geburtstag geschenkt. Auf verschiedenen Instagram-Kanälen ist er auf die analoge Fotografie aufmerksam geworden. „Dort ist mir der einzigartige Look aufgefallen. Ich mag die Körnigkeit. Es ist wie eine Zeitreise in zurückliegende Jahrzehnte. Analoge Fotos sind echter, weniger perfekt, haben mehr Charakter, weil man im Nachhinein nicht mehr so viel verändern kann. Analoge Fotos sind Originale“, findet er.