Kitzretter - „Bambi“ retten mit der Drohne © Kevin Winterhoff © Pia Jo List

Kitzretter – „Bambi“ retten mit der Drohne

Ich weiß nicht, ob das euch genau so geht, aber nach einem Jahr der Pandemie fühlt man sich beim Anblick großer Menschenansammlungen irgendwie seltsam. Vielleicht erinnert ihr euch dennoch an eurer letztes Open-Air Konzert, das letzte Festival oder den letzten Stadionbesuch. Wenn man sich diese Massen vorstellt, hat man immer noch nur einen Bruchteil von der Zahl 100.000 in wirklicher Vorstellung. Warum ist die Zahl für eine Story über Rehkitze wichtig?

Kitzretter - „Bambi“ retten mit der Drohne © Kevin Winterhoff

Pro Jahr sterben allein in Deutschland nach konservativen, offiziellen Hochrechnungen 100.000 Rehkitze durch die Mähwerke landwirtschaftlicher Betriebe. Dabei gäbe es Möglichkeiten genau das zu stoppen. Wir hinken hinterher, wie immer, es hapert an modernen technischen Lösungen.

Ich werd das Geräusch nie wieder vergessen. Es gleicht ein wenig dem Stocken des Rasenmähermotors, wenn man im hohen Gras einen Maulwurfshügel übersehen hat. Nur mit dem Wissen, dass es kein Maulwurfshügel ist. Es war vor etlichen Jahren, als ich ehrenamtlich Wiesen absuchte, bevor sie gemäht wurden. Ich schaut von einem Hügel auf eine Wiese runter, die der Bauer gerade mähte. Eine Ricke rannte, verdeckt für den Bauern, hinter einer Hecke immer wieder auf die Wiese zu, panisch! Hektisch versuchten wir den Landwirt auf seinem Handy zu erreichen. Der Wählton vermischte sich mit dem eben beschriebenen Geräusch des stockenden Mähwerks, es war zu spät. 

Es ist ein typisches Beispiel für den Konflikt von menschlichem Nutzen und Naturbewahrung. Das Rehwild bekommt seinen Nachwuchs genau dann, wenn die Wiese reif für den ersten Schnitt der Saison ist. Im Mai und Juni müssen die Landwirte die Wiese mähen, es ist lebenswichtige Nahrung für die Kühe. Gleichzeitig ist es kein Zufall, dass die Ricken (weibliche Rehe) ihre Kitze genau dann gebären. Es ist vielmehr ein geniales System! Die Ricken paaren sich mit den Rehböcken im Juli und August. Die Tragzeit der Ricken beträgt jedoch nur 5 Monate. Jeder, der das Lied „Die Jahresuhr, steht niemals still“ aus seiner Kindheit noch kennt, bemerkt dass das nicht passt mit dem Mai und Juni als Geburtstermin. Rehe haben eine sogenannte Keimruhe. Die befruchtete Eizelle nistet sich dabei in der Gebärmutter der Ricke ein und ruht, entwickelt sich erst einmal nicht. Es dauert 4,5 Monate bis die Entwicklung des Kitzes beginnt. Darüberhinaus zeigen Studien, dass die Ricken sogar jahreszeitliche Schwankungen ausgleichen können und eine gewisse Kontrolle über den Geburtszeitpunkt haben müssen. Kitze werden nämlich immer dann geboren, wenn die Wiese hoch genug steht um sich darin zu verstecken und das Nahrungsangebot vielfältig genug ist. Das allein erklärt aber noch nicht, warum es zu den vielen toten Rehkitzen kommt.

Dafür brauchen wir ein weiteres Wunder in der Tierwelt. Rehkitze besitzen in den ersten Wochen keinen Eigengeruch. Auch wenn sie schon agil sind und ihrer Mutter theoretisch recht früh folgen könnten, ist ihr bester Schutz sich zu ducken und zu warten bis die Gefahr, in Form von Wildschwein oder Fuchs, vorbeizieht. Selbst die Mutter hält sich fern vom Kitz um ihren Geruch nicht auf ihr Junges zu übertragen. Nur zum Säugen kommt sie alle paar Stunden zu dem Kleinen, säugt es und legt es wieder ab. Diese Taktik, der Drückinstinkt, führt beim Mähen dazu, dass die Kitze quasi nicht zu sehen sind.

Es gibt nur eine zuverlässige Möglichkeit die Kitze wirklich zu entdecken: Wärmebild kombiniert mit Drohnentechnik. In den letzten Jahren hat sich auf diesem Bereich zum Glück echt viel getan und dieses Jahr hat DJI als Marktführer eine Drohne auf dem Markt gebracht, welche die Rettung der Kitze noch sicherer machen könnte. Das einzige Problem ist, dass die Drohnen viel Geld kosten. Mit diesem Problem wollte ich mich nicht mehr abfinden.Also fing ich an, die Rehkitzsuche, nicht nur in ihren Lösungsansätzen zu professionalisieren, sondern auch in der Kommunikation. Da ich selber die Drohne fliegen musste, konnte ich nicht wie gewohnt die Bilder der Rettungsaktionen erstellen. Ich konnte meine gute Freundin Pia dafür begeistern mit uns loszuziehen und eine Reportage über die gesamte Saison der Rehkitzrettung zu erstellen. Gerade in den frühen Morgenstunden ist das Licht nur spärlich vorhanden. Um möglichst viel Kontextualisierung in der Bildgeschichte zu erreichen, bot sich hier das SIGMA 24mm F1,4 DG HSM | Art und SIGMA 35mm F1,4 DG HSM | Art perfekt an. Gerade in Situationen wo das Rehkitz entdeckt wird, muss es aber schnell gehen. Um hierbei nicht auf eine Festbrennweite beschränkt zu sein, setzten wir außerdem das SIGMA 24-70mm F2,8 DG OS HSM | Art und das SIGMA 70-200mm F2,8 DG OS HSM | Sports ein. Beiden bieten genügend Licht, auch am frühen Morgen und dennoch genügend Spielraum in der Brennweite um auf alle Situationen vorbereitet zu sein. Gerade wenn ein Rehkitz aus der Wiese herausgenommen und gerettet wird, bieten sich viele unterschiedliche Motive. Manchmal nutze ich dafür auch das SIGMA 24-35mm F2 DG HSM | Art, ein Objektiv das ich besonders liebe, aber vollkommen unterrepräsentiert ist. Es hat eine wunderbare Farbwiedergabe und bietet mit der Kombination aus Brennweite und Blende einen wunderbaren Gestaltungsspielraum.

Herausgekommen ist eine Reportage, auf die wir sehr stolz sind und welche wir in den nächsten Jahren auf jeden Fall fortsetzen und ergänzen werden! Es ist uns wichtig, diese Geschichte anderen Leuten näher zu bringen, so emotional und so nah wie nötig und möglich.

Ich beschloss im Frühjahr 2020 einen Verein zu gründen. Ich dachte mir: „Wenn es die Technik gibt und genug bereitwillige Helfer und es nur am Geld scheitert, muss man das ändern“. Also schrieb ich eine Satzung, las mich ins Vereinsrecht ein und kontaktierte alle zuständigen Stellen wie Finanzamt, Amtsgericht, Anwälte und Notare. Gleichzeitig stellte ich eine Helfergruppe auf, trug mein Anliegen der Presse vor und knüpfte Kontakte. Jetzt, nach einem Jahr sind wir, pandemiebedingt verzögert, endlich soweit. Unser Verein Kitzretter e.V. ist gegründet. Bereits voriges Jahr konnten wir mit der Hilfe vieler Helfer ein erstes Drohnenrettungsjahr hinter uns bringen. Mit drei Drohnen fanden wir über 100 Kitze. Die Verluste waren deutlich geringer als bei anderen althergebrachten Rettungsmaßnahmen. Und auch wenn diese zwei Monate unheimlich anstrengend sind und man um 4.00 Morgens Tag für Tag aufsteht: Jedes Kitz, welches man mit seinen Händen aus der Wiese trägt und dessen kleines Herz man pochen spürt, ist ein Herz das weiter schlagen darf und man mit großer Sicherheit vor dem Mähwerk retten konnte…

 
Kevin Winterhoff
Naturfotograf

Das erste Mal auf einen Kameraauslöser gedrückt, hat Kevin im Alter von vier Jahren. Anhand von Agfa Einwegkameras auf Film lernte er von seinem Vater das Fotografieren. Von Klein auf gab es dabei vor allem die Natur als Motiv. Dabei ist es meistens geblieben, auch wenn heute die Reportage einer Reise genauso zum Repertoire gehört. 

Die Liebe zur Naturfotografie hat ihn dabei in verschiedenste Länder der Erde gebracht. Dabei findet er seine Motive hauptsächlich jedoch im heimischen Sauerland. 

"Die Fotografie bietet mir die Möglichkeit, Verstecktes und Verborgenes anderen näher zu bringen und damit ein Stückchen zum Schutz der Natur beizutragen“

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Pia Jo List
Fotografin

Pia Jo List, geboren und aufgewachsen, in einem kleinen Dörfchen, umgeben von Wäldern und Wiesen in Hagen.

Und auch jetzt wohnt sie mit ihrer kleinen Family auf dem Ländchen und lässt sich täglich von den Farben und dem Klang der Natur inspirieren, ständig auf der Suche nach neuen Motiven und Momenten, die Ihr in ihrem Alltag begegnen. Ihren fotografischen Schwerpunkt legt sie auf einen modernen, kontrastreichen und authentischen Fotostil.


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