Die fünfte Jahreszeit

Es wird einige Leute geben, insbesondere in manchen Regionen, die bei der Überschrift an Karneval denken werden. Aber das ist nicht das Thema, es wäre ohnehin viel zu früh. „Die fünfte Jahreszeit“ ist ein Gedicht von Kurt Tucholsky und gehört für mich persönlich zu den schönsten Naturgedichten überhaupt. Genau jetzt ist diese Zeit, die Zeit der „fünften Jahreszeit“, diese Zeit zwischen Sommer und Herbst, eine, wenn man genau hinschaut (nicht nur mit den Augen), wunderschöne Zeit im Jahr.

Kennt ihr das auch, dass man sich wünscht der Sommer sollte nie zu Ende gehen? Egal, wie sehr man die einzelnen Jahreszeiten liebt, auch wenn man sich vielleicht schon ein bisschen auf die Farben des Herbstes freut, den Sommer gehen zu lassen ist stets mit ein bisschen Wehmut verbunden. Insbesondere die Zeit jetzt, diese Zeit zwischen Spätsommer und Frühherbst, diese Zeit ist in der Natur wunderschön. Die Sonne wärmt, aber brennt nicht mehr auf der Haut, das satte Grün des Sommers ist einem sanfteren und dunklerem Farbton gewichen in den sich zunehmend goldene und braune, erdige Töne mischen. Das frische Grün des Frühlings scheint Ewigkeiten her. Die feinen Gespinste, die durch die Luft zu schweben scheinen, die Tage werden kürzer und die Nächte oft kühler. Gerade an den warmen und sonnigen Tagen scheint eine gewisse Trägheit über der Landschaft zu liegen, eine Art „ausruhen“, es ist fast alles vollendet, die Brut der Vögel ist vorbei, die Früchte gereift und ein paar Samen schweben manchmal noch durch die Luft um im nächsten Jahr neues keimen zu lassen. Ein bisschen ist es auch ein Abschied und es wohnt eine gewisse Melancholie inne, verbinden wir doch Sommer auch mit Lebensfreude, das Leben was draußen stattfindet, dieses Jahr sogar noch mehr als sonst. Die heißen Tage am Meer sind vorbei und in den Hochgebirgen wird es bald den ersten Schnee auf den Bergspitzen geben. Schmetterlinge, die in der Sonne flattern wirken schon ein bisschen „gezeichnet“ vom Leben und ihr Lebenszyklus ist bald vorbei. Kürbisse zieren die Straßenränder, der Wein erlangt seine Reife und die Apfelernte ist im vollen Gang. Es ist gefühlt noch kein Herbst, es ist immer noch Sommer, aber es ist eine Zeit im Sommer die sehr besonders ist. Jedes Jahr um die Zeit lese ich das Gedicht von Kurt Tucholsky und jedes Jahr finde ich das, was er in wunderschönen Worten verpackt da schreibt, auch stets draußen wieder. Immer wieder habe ich dieses Gedicht mit Bildern illustriert, Bilder, welche genau diese Stimmung wiedergeben. Das Gedicht mit den Bildern möchte ich euch heute in diesem Blogbeitrag ein bisschen näher bringen. Vielleicht findet der ein oder andere diese Stimmung dann auch draußen, es sind nicht nur die visuellen Eindrücke, diese Zeit im Spätsommer ist auch ein Gefühl, umso stärker, wenn man es in der Natur sucht und findet.

Auch fotografisch ist der späte Sommer eine schöne Zeit. Das Licht ist nicht nur unmittelbar zu den Tagesrandzeiten schon viel weicher als im Hochsommer, die goldenen und erdigen Töne in der Landschaft suggerieren Wärme und in der Makrofotografie zaubern diese Farbtöne wunderschöne Hintergründe. Die Herbstzeitlosen und die Heidelandschaften erblühen, es gibt viele Pilze als Motiv und die Spinnen haben Hochsaison. Durch die kühleren Nächte sind die Insekten morgens ein bisschen geduldiger beim Fotografieren und taubenetzte Spinnennetze findet man jeden Tag mehr. Ein schöner Nebeneffekt für den ein oder anderen wird auch sein, dass man nicht mehr ganz so arg früh aufstehen muss, um bei Sonnenaufgang zu fotografieren.

Wir leben in einem Teil der Erde, in welchem die Jahreszeiten ausgeprägt sind, in welchem man diese nicht nur sehen, sondern auch spüren kann. Und so sehr ich auch die üppige Vielfalt der tropischen Vegetation mag, so sehr ich Regionen liebe in denen man immer Eis findet und die kaum Frühling und Sommer in der gewohnten Form kennen, ich möchte den Wechsel der Jahreszeiten nicht missen. Unser Leben wird auch heute immer noch ein bisschen davon bestimmt, unsere Aktivitäten, wie wir uns kleiden, ein bisschen auch was wir essen. Aber sich die Zeit zu nehmen, Jahreszeiten in der Natur ganz bewusst und mit allen Sinnen wahrzunehmen, das ist nicht selbstverständlich und ich hoffe ich kann den ein oder anderen dazu animieren diese herrliche Spätsommerzeit ein bisschen intensiver und mit Tucholskys Worten im Kopf zu erleben.

Kurt Tucholsky – Die fünfte Jahreszeit

Wenn der Sommer vorbei ist und die Ernte in die Scheuern gebracht ist, wenn
sich die Natur niederlegt, wie ein ganz altes Pferd, das sich im Stall hinlegt,
so müde ist es – wenn der späte Nachsommer im Verklingen ist und der frühe
Herbst noch nicht angefangen hat – dann ist die fünfte Jahreszeit.

Nun ruht es. Die Natur hält den Atem an; an andern Tagen atmet sie unmerklich
aus leise wogender Brust. Nun ist alles vorüber: geboren ist, gereift ist,
gewachsen ist, gelaicht ist, geerntet ist – nun ist es vorüber.

Nun sind da noch die Blätter und die Sträucher, aber im Augenblick dient
das zu gar nichts; wenn überhaupt in der Natur ein Zweck verborgen ist: im Augenblick
steht das Räderwerk still. Es ruht.

Mücken spielen im schwarzgoldenen Licht, im Licht sind wirklich schwarze Töne,
tiefes Altgold liegt unter den Buchen, Pflaumenblau auf den Höhen … kein Blatt
bewegt sich, es ist ganz still.

Blank sind die Farben, der See liegt wie gemalt,
es ist ganz still. Ein Boot, das flußab gleitet, Aufgespartes wird dahingegeben – es ruht.

So vier, so acht Tage – Und dann geht etwas vor. Eines Morgens riechst du den
Herbst. Es ist noch nicht kalt; es ist nicht windig; es hat sich eigentlich gar
nichts geändert – und doch alles.

Noch ist alles wie gestern: Die Blätter, die Bäume, die Sträucher … aber nun
ist alles anders….

Das Wunder hat vielleicht vier Tage gedauert oder fünf, und du hast gewünscht,
es solle nie, nie aufhören… Spätsommer, Frühherbst und das, was zwischen ihnen
beiden liegt. Eine ganz kurze Spanne Zeit im Jahre.

Es ist die fünfte und schönste Jahreszeit.

Die fünfte Jahreszeit © Ines Mondon
 
Ines Mondon
Makrofotografin

Ines Mondon ist SIGMA Referenzfotografin, Buchautorin, gibt Workshops und hält Vorträge. Sie ist außerdem ehrenamtliche Fotografin für die Organisation „Dein Sternenkind“. Ihre Schwerpunkte sind die Makrofotografie und ein Stück weit die Landschaftsfotografie, sowie die abstrakte und Detailfotografie.  Ihre Stilmittel sind häufig gefühlvolle und pastellige Bilder, welche die Grenze zur Malerei berühren.

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