Stay Home… Geht raus zum Fotografieren! © Ines Mondon

Stay Home… Geht raus zum Fotografieren!

Der Frühling ist jetzt voll im Gange, das Wetter ist toll, Ferien und Feiertage stehen an und viele haben über Ostern ein paar Reisen und Ausflüge geplant. Gerade für Naturfotografen sind europäische Ziele wie Spanien, Italien, Südfrankreich, Island, die Alpen und vieles mehr im Moment sehr verlockend und viele solcher Reisen waren lang geplant. Hotels und Flüge gebucht und der Fotorucksack quasi schon fast gepackt.

Dann kam COVID-19, ein Coronavirus, welches es geschafft hat, unser aller Leben auf eine Art und Weise zu beeinflussen, wie sich das vermutlich keiner hätte je vorstellen können. Ein winzig kleines Virus, dessen Ausbreitung wir alle in China noch vor ein paar Monaten mit einiger Distanz staunend beobachten konnten, noch nicht ahnend, dass wir alle einmal direkt oder indirekt davon betroffen sein könnten.

Plötzlich scheint unser Leben still zu stehen. Keine Restaurantbesuche, kein Kino, keine Konzerte oder Fußballspiele – ja, nicht einmal Familie und Freunde sollen wir sehen und es gilt als Zeichen der Verbundenheit und Liebe, wenn wir unsere Eltern und Großeltern nicht besuchen und schon gar nicht umarmen.

Kurzarbeit, Ferien, Homeoffice und Zwangsurlaub und dadurch bei vielen Menschen ein Zugewinn an Freizeit, der aber für einige scheinbar nutzlos erscheint, denn die klassischen Freizeitaktivitäten sind ja nicht möglich.

Gelegenheit für die Fotografie? Gerade jetzt? Wo wir doch alle zu Hause bleiben müssen? Wo wir nicht die Orchideen und erste Schmetterlinge in Südfrankreich fotografieren können? Die Blütenpracht in der Extremadura und den zart erwachenden Frühling in den Alpen?

Ich sage, „ja“ gerade jetzt ist eine gute Zeit zum Fotografieren. Und zwar „zu Hause“. Ob man „zu Hause“ als den eigenen Garten definiert oder Ziele in der näheren Umgebung bleibt dabei jedem selbst überlassen. Es ist ja ungefährlich und erlaubt sich draußen aufzuhalten, ja, es ist sogar wichtig für unser Wohlergehen und auch für unser Immunsystem und unsere Gesundheit. Warum also nicht die Gelegenheit nutzen, um sich ein bisschen mit der heimischen Fauna und Flora zu beschäftigen? Warum nicht völlig ohne Erfolgsdruck und ohne den Anspruch ganz seltene und ungewöhnliche Motive einzufangen, einfach mal losziehen, um mit Spaß und Freude zu fotografieren. Unsere heimische Natur bietet eine Vielfalt an Motiven, die kreativ und zauberhaft in Szene gesetzt werden können.

Vielleicht ist das auch für den einen oder anderen eine Gelegenheit, sich Projekten in der Fotografie zu widmen. Ein gutes Motiv und Beispiel dafür sind die Anemonen, Buschwindröschen, die derzeit vielerorts in großen Massen blühen und die man fotografisch so unterschiedlich und facettenreich darstellen kann.

Gerade jetzt, wo man ein wenig mehr Zeit „zu Hause“ zur Verfügung hat, ist das eine Chance, nicht nur seine fotografischen Fähigkeiten zu erweitern und zu vertiefen, sondern sich auch spielerisch und kreativ seinen Motiven zu nähern.

Das muss auch nicht nur aufs reine Fotografieren beschränkt sein. Gerade wer Kinder hat, kann die Zeit tagsüber nutzen, um Gebiete zu erkunden, um sich in seiner Umgebung umzuschauen, was da so blüht, und manch einer wird auch Dinge entdecken, die er nie vorher sah. Die Tagesrandzeiten können dann zum Fotografieren auch allein genutzt werden.

Es gibt keine Workshops derzeit, keine Fotoreisen oder geführten Fototouren, man ist so ein wenig auf sich selbst gestellt. Vielleicht ist das auch eine Gelegenheit, sich mal wieder mit einem Fotobuch zu beschäftigen. An dieser Stelle empfehle ich unser letztes Jahr erschienenes Buch „Fotografieren in der Natur“, in dem die Fotografie verschiedener Motive Schritt für Schritt erklärt wird.

Aber auch ohne ein Buch ist es eine gute Chance, sich mal wieder allein mit den Themen der Fotografie zu beschäftigen und kreative Bildideen zu entwickeln.

Da liegt noch dieses antike oder sehr spezielle Objektiv, was man irgendwann mal gekauft hat, aber eigentlich nie die Zeit hatte es ernsthaft zu nutzen? Ihr wolltet schon immer mal ausprobieren mit einem Tele- oder Telezoomobjektiv „ganz Kleines“ im Makrobereich zu fotografieren? Da ist dieses kleine Gewässer gar nicht weit weg, wo ihr schon immer mal im Frühling schauen wolltet, ob es da Frösche oder Kröten gibt, aber es nie geschafft habt? Jetzt, ja genau jetzt, ist die Gelegenheit für all diese Dinge.

Das Homeoffice erspart den Arbeitsweg, warum also nicht morgens bei Sonnenaufgang fotografieren gehen und den Arbeitstag danach zu Hause beginnen. Wer es einmal gemacht hat, der wird wissen was für ein wundervoller Start in den Tag das sein kann. Das Gleiche gilt auch für abends. Oder warum nicht in der Mittagspause mal den heimischen Garten fotografisch erkunden?

Viele Motive sind geradezu prädestiniert dafür, dass man sie zu verschiedenen Tageszeiten und Lichtsituationen aufsucht. Einige Blumen schließen schon früh abends ihre Köpfe und sind tagsüber oder einige Zeit vor Sonnenuntergang am besten zu fotografieren. Durch die Mitnahme eines kleinen Diffusors zum Abschatten können sich auch zu dieser an sich „unfotogenen“ Tageszeit wunderschöne Lichtsituationen ergeben.

Die Leberblümchen blühen noch, die Schlüsselblumen und noch einige Lerchensporn. Die Schachbrettblumen und heimischen Orchideen stehen sozusagen in den Startlöchern.

Aber auch die leeren Städte und Plätze bieten jetzt eine Gelegenheit diese Motive mal menschenleer zu fotografieren.

Natürlich kann man sich viel Inspiration aus dem Internet oder auch aus Büchern holen, aber gerade jetzt ist auch eine Zeit, um sich mal allein und nur mit sich selbst mit Bildideen zu beschäftigen. Klar macht es Spaß mit gleichgesinnten Menschen unterwegs zu sein und mit Fotofreunden den Tag bei einem gemütlichen Essen ausklingen zu lassen. All das werden wir auch alle wieder tun können, aber ich finde, man kann die derzeitige Situation dahingehend auch als eine Chance sehen eben mal für sich allein diese Dinge zu tun.

Aber dank unserer modernen Kommunikationsmittel sind wir ja auch trotzdem in der Lage mit anderen Menschen auch über Distanzen hinweg in Kontakt zu bleiben, auch was die Fotografie betrifft. Wie wäre es denn mit einem Videochat, in dem Bilder besprochen und Erfahrungen ausgetauscht werden? Die Zeit kann auch genutzt werden, um mal Tutorials zu schauen und seine eigene Bildbearbeitung zu optimieren. Und dann gibt es wahrscheinlich auch bei jedem noch die unzähligen Bilder, die man nie bearbeitet hat, weil man die Zeit nicht gefunden hat.

Aber auch die eigene Familie und die Haustiere sind Fotomotive, mit denen man sich jetzt beschäftigen kann.

Die Welt scheint ein bisschen still zu stehen, ein großer Teil der Menschheit musste freiwillig oder unfreiwillig zurückkehren in die Heimat, es gibt weder Tourismus noch Geschäftsreisen, die Distanzen, die durch unsere moderne Infrastruktur kaum noch zu existieren schienen, sind auf einmal wieder da. Es gibt Ängste, Unsicherheit und gerade im Wirtschaftsbereich sehr reale Existenzängste, aber es ist auch eine Art Entschleunigung zu spüren und eine Art der Besinnung auf unsere Werte. Der Begriff „Freizeitstress“ hat gerade die letzten Jahre an Bedeutung gewonnen, vielleicht ist das auch eine Chance sich dahingehend selbst ein wenig zu hinterfragen und Dinge auch mehr wertzuschätzen. Auch in der Fotografie gibt es diesen „Freizeitstress“, die Jagd nach seltenen Motiven, das große Angebot an Workshops und Fotoreisen können auch zu einer Art Stress führen. Gerade im Bereich der Naturfotografie gibt es mittlerweile für ganz viele Motive auch ein entsprechendes Angebot, die afrikanischen Wildtiere sind bequem durch eine Fotosafari fotografierbar, die Bären, die Adler, die Landschaften Skandinaviens, die Orchideen in Griechenland und Südfrankreich und Unzähliges mehr. Man braucht nicht viel Aufwand betreiben und meist ist nicht einmal eine spezielle Artenkenntnis erforderlich. Das führt auch dazu, dass sich Fotografen ein bisschen gestresst fühlen können in unserer manchmal so oberflächlichen Gesellschaft. Das Bedürfnis viele „Follower“ zu haben, das Bedürfnis viele schnelle „Likes“ zu bekommen zwingt manchmal regelrecht dazu immer neue ungewöhnliche Motive schnell verfügbar zu haben.

Da ist ein Bild des heimischen Spatzens oder Gänseblümchens scheinbar viel weniger wert, wenn es doch ein Bild eines Weißkopfseeadlers oder einer ungewöhnlichen Orchidee sein könnte. Im Moment sind wir alle in der gleichen Situation, unabhängig von unseren finanziellen und zeitlichen Möglichkeiten, wir können alle fotografieren, wenn wir Spaß daran haben, aber wir können es nur zu Hause tun. Auch ich selbst liebe es sehr, ferne Länder zu erkunden, ungewöhnliche Motive am anderen Ende der Welt zu finden, aber genauso liebe ich es durch die heimischen Wälder und Wiesen zu streifen und Motive in meiner Umgebung jedes Jahr neu und jederzeit verfügbar in verschiedenen Lichtsituation zu fotografieren.

Im Moment gibt es quasi keinen Berufsverkehr, keinen Flugzeuglärm, keine Kondensstreifen. Wer gerade jetzt morgens unterwegs ist, der wird vieles so anders als gewohnt erleben. In den Städten hört man Vogelgezwitscher, die Luft scheint klarer zu sein und der Himmel noch blauer. All diese Dinge kann man bei einer Fototour genießen und erleben.

Faszinierend für mich ist, wie unbeeindruckt die Natur von dem ist, was mit uns Menschen gerade geschieht. Der Frühling ist geradezu explodiert und die Natur geht „ihren Weg“ wie jedes Jahr, wir Menschen sind dafür unwichtig und nur Zuschauer. Vielleicht ist das auch etwas, worüber man nachdenken kann, dass wir eben nur Gäste sind auf diesem Planeten und die Natur in ihrer Vielfalt uns nicht wirklich braucht.

Es sind so viele positive Dinge, die ich hier beschrieben habe. Die Idee fotografisch jetzt die Heimat neu und intensiv zu entdecken. Die Idee, die verfügbare Zeit fotografisch zu nutzen und die Natur allein zu genießen sind Dinge, die ich jedem ans Herz legen möchte.

Aber ich bin weder naiv noch habe diese verklärte Vorstellung von dieser jetzt besseren Welt. Im Gegenteil, mir ist wie jedem bewusst, was diese Pandemie und die daraus resultierenden Einschränkungen für große Auswirkungen insbesondere auf die Wirtschaft haben. Die kleinen Familienunternehmen, die Fluggesellschaften und eigentlich nahezu alle Unternehmen, die möglicherweise um ihre Existenz kämpfen oder gar daran scheitern werden, die Menschen, die dadurch arbeitslos werden, sind auch für mich eine Katastrophe und sehr präsent. Die soziale Isolation vieler Menschen, das Besuchsverbot in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen. Mein Mitgefühl haben alle Menschen, die davon betroffen sind.

Vor allem aber haben die Menschen mein Mitgefühl, die derzeit um ihr Leben kämpfen müssen, weil sie an COVID-19 erkrankt sind. Deren Angehörige, die zu Hause bangen und auf Nachricht warten und die wissen, dass ihre Liebsten vielleicht ganz allein sterben müssen, dass sie in ihren letzten Tagen und Stunden niemand Vertrautes um sich herum haben werden, dass sie kein Lächeln sehen werden, weil die Gesichter derer, die sie versorgen, mit Masken und Brillen geschützt sind.

Meine Gedanken sind bei denen, die jeden Tag und jede Nacht da sind für die Menschen, die krank sind, die eben kein Homeoffice machen können, die wie „vor Corona“ und auch „nach Corona“ ihre verantwortungsvolle Arbeit tun, die jetzt staunen, dass sie plötzlich systemrelevante Helden sind, obwohl sie doch das tun, was sie immer getan haben.

Das betrifft auch andere Berufe in unserer Gesellschaft, die plötzlich eine Wertschätzung erhalten, die sie vorher nicht kannten. Vielleicht ist auch das ein positiver Effekt. Vielleicht nehmt ihr ja bei eurem Ostereinkauf eine Tafel Schokolade für die Kassiererin im Supermarkt mit oder schenkt dem Postboten und dem, der eure Mülltonne jede Woche abholt, zumindest ein kleines Lächeln und ein von Herzen kommendes „Dankeschön“. Vielleicht bestellt ihr ja euer Essen über Ostern in eurem Lieblingsrestaurant und genießt es zu Hause, vielleicht kauft ihr ja gerade jetzt einen Gutschein bei denen, die jetzt ihre Geschäfte geschlossen haben und nicht wissen, wie sie die nächste Miete dafür bezahlen sollen.

Jeder kann etwas tun, dass wir bald wieder in unser normales Leben zurückkehren können, dass wir im Sommer wieder im Biergarten sitzen und irgendwann wieder am Meer oder auf den Bergen sind. „Stay home“, das schützt dich und andere und entlastet vor allem unser Gesundheitssystem. Aber „Stay home“ heißt nicht „legt die Kameras weg“. Im Gegenteil, nutzt diese Zeit und macht wundervolle Bilder vom Frühling, vom frischen Grün, was so sehr ein Symbol der Hoffnung ist. Nehmt all diese Gedanken mit raus und seid kreativ. Aber vor allem bleibt gesund.

Ines

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Ines Mondon
Makrofotografin

Ines Mondon ist SIGMA Referenzfotografin, Buchautorin, gibt Workshops und hält Vorträge. Sie ist außerdem ehrenamtliche Fotografin für die Organisation „Dein Sternenkind“. Ihre Schwerpunkte sind die Makrofotografie und ein Stück weit die Landschaftsfotografie, sowie die abstrakte und Detailfotografie.  Ihre Stilmittel sind häufig gefühlvolle und pastellige Bilder, welche die Grenze zur Malerei berühren.

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