Die Fotografie am Scheideweg? Ein Kommentar von Kevin Winterhoff
„Geiles Foto! Tolle Arbeit! Super Lichtstimmung!“ – die Kommentare unter Fotos auf sozialen Medien sind oft kurzgehalten. Dennoch beziehen sie sich in den meisten Fällen auf das Foto, den Fotografen und den festgehaltenen Moment. Doch wie viel des präsentierten Fotos geht wirklich auf den festgehaltenen Moment zurück?
Wie viel davon ist Bearbeitung? Was ist die echte Fotografie?
Früher und Heute
Räumen wir gleich am Anfang mit dem Vorurteil auf, dass früher alles ehrlicher und echter war in der Fotografie. Verschiedene Filme verursachten ganz unterschiedliche Farben, Kontraste und auch Bildeindrücke. Die Technik der Doppelbelichtung, künstlich längere oder kürzere Belichtung und Entwicklung ließen auch damals schon unheimlich viel an Fotoveränderung zu.
Mit dem Einzug der digitalen Technik und der Computer, als fester Bestandteil der Bildpräsentation und Bearbeitung, kann man dennoch von grundlegenden Veränderungen sprechen. In vielen Genres der Fotografie war von Anfang an die Bildbearbeitung und Bildoptimierung ein natürlicher Schritt in der Arbeit des Fotografen. In der Naturfotografie war das nicht so. Dies hatte verschiedene Gründe.
Kunst und Naturfotografie
Die Naturfotografie hatte von Beginn an eine weniger künstlerische Ausrichtung als andere Genres. Es ging insbesondere bei der Tierfotografie vorerst um die Dokumentation und Bestimmbarkeit von Arten auf den Fotos. Sie dienten sozusagen als Nachweis einer Sichtung und galten deutlich mehr als Bestimmungsmöglichkeit denn als künstlerischen Umsetzung eines Motivs. Dementsprechend wurden in diesem Bereich auch künstlerische Sichtweise, wie minimalistische Darstellungen oder bewusstes Anschneiden von Tieren kritisch gesehen.
Fotografie ist Kunst und Kunst ist per se einer zeitlichen Entwicklung unterworfen. Das gilt für die Malerei mit den Epochen, ebenso wie für die Baukunst oder auch die Musik. Fotografie ist da keine Ausnahme. Dabei sind einige Genres deutlich fortschrittlicher als andere und die Intensität der (erlaubten) Verfremdung höchst verschieden.
Soziale Medien und Fotografie
Mit der Erfolgsgeschichte von sozialen Medien ist eine Explosion der Fotopräsentation verbunden. Soziale Medien funktionieren vor allem aufgrund von Fotografien, was daran liegt, dass Menschen nun einmal visuelle Wesen sind. Lässt man den Tastsinn im Alltagsleben einmal außen vor, nehmen Menschen 80% der Wahrnehmung durch visuelle Reize war. Zudem hat der visuelle Sinn den Vorteil grenzenlos agieren zu können, während andere Sinne die lokale Nähe zu einem Ereignis brauchen. Es ist also nicht verwunderlich, dass besonders das Sehen für Menschen so begeisternd ist.
Im Konkurrenzkampf der Aufmerksamkeit in sozialen Medien prägen sich Extreme immer weiter aus. Das bezieht sich sowohl auf den Inhalt der Fotografien, als auch auf die Bearbeitungen. Dadurch kann man schnell zu der Frage kommen, ob Naturfotografien noch wirklich Realitäten zeigen und wenn dies nicht so ist, ob das überhaupt schlimm ist?
Fotografen fühlen sich durch nichts mehr beleidigt, als wenn ihre eigene Leistung bei der Betrachtung eines guten Bildes zurück gestellt wird. Da wird schnell ganz tief in die Phrasenkiste gegriffen, um den Satz „der Fotograf macht das Foto, nicht die Kamera“ herauszuholen. Aber stimmt das wirklich noch? Wenn man einigermaßen fit in Lightroom und Photoshop ist, könnte man das auch ganz anders sehen: Das Foto als Grundlage einer Präsentation, auf welcher man beliebig verändern und interpretieren kann. Eine Kunst auf der Kunst sozusagen. Es braucht jedenfalls heute für eine beachtenswerte Bildpräsentierung mehr, als die grundlegende Fähigkeit eines gutes Bild zu machen.
Instagram und Naturfotografie
Spätestens mit der Generation der Instagrammer wurden Outdoorfotografien zum weltweiten Trend. Berge + Nebel + kalte Bearbeitung + orangene Jacke = Instahit. Eine sehr verkürzte Rechnung, aber sie ist nicht ganz unzutreffend. Selten hat man mehr Menschen mit dampfenden Kaffeetassen, brennenden Lagerfeuern oder knalligen Regenjacken in Alpenkulissen oder vor Wasserfällen gesehen, als in der Zeit des anhaltenden Instagram-Hypes. Eine Sehnsuchtsstillung, das Gefühl des Draußenseins, der erlebten Wildnis! Nur eben nicht real, sondern per Touch auf das Smartdevice gezaubert. Das Befriedigen der Sehnsucht nach Natur und Wildnis von der heimischen Couch aus, während man aufs Smartphone schaut.
Machen wir uns nichts vor. Ein Foto muss gut sein um begeistern zu können. Komposition, Licht und Szenerie müssen stimmen. Die Bildbearbeitung kann aber ein Bild in seinen Grundzügen verändern. Aus einem Sommerbild, wird ein düsteres Herbstbild, aus einer normalen Lichtsituation wird mittels kleinerer Anwendungen mit dem Radialfilter ein lichtdurchflutetes Wunderland. Ein sehr guter Fotograf wird ohne ebenso gute Bearbeitung heute kaum noch Beachtung bekommen. Die Möglichkeiten der Bearbeitung und Veränderung durch digitale Prozesse hat die Möglichkeiten der Fotografischen Effektsetzung überholt und teils konterkariert.
Ich habe keine Antworten und auch keine abschließende Meinung auf die zahlreichen Fragen und Themen dieses Artikels. Es ist auch nicht mein Ziel diese allgemeingültig zu beantworten, weil es nicht möglich ist und die Sichtweisen individuell zu unterschiedlich sind. Ich finde es aber wichtig diese aufzuwerfen, sich kritisch mit Kunst, aktuellen Moden und Ausprägungen der Fotografie zu beschäftigen. Denn Fortschritt entsteht immer dann, wenn der Status quo hinterfragt und kritisch beäugt wird und wenn über diesen gestritten wird. Daher würde ich es interessant finden ihre Meinung zu hören…
Das erste Mal auf einen Kameraauslöser gedrückt, hat Kevin im Alter von vier Jahren. Anhand von Agfa Einwegkameras auf Film lernte er von seinem Vater das Fotografieren. Von Klein auf gab es dabei vor allem die Natur als Motiv. Dabei ist es meistens geblieben, auch wenn heute die Reportage einer Reise genauso zum Repertoire gehört.
Die Liebe zur Naturfotografie hat ihn dabei in verschiedenste Länder der Erde gebracht. Dabei findet er seine Motive hauptsächlich jedoch im heimischen Sauerland.
"Die Fotografie bietet mir die Möglichkeit, Verstecktes und Verborgenes anderen näher zu bringen und damit ein Stückchen zum Schutz der Natur beizutragen“