Vierzig Tage westwärts – Unterwegs auf dem Jakobsweg
Ich werde vom Schein einer Taschenlampe geweckt. Ich drehe mich auf die Seite um noch ein paar Minuten zu schlafen, weiß aber, dass an Ruhe nicht mehr zu denken ist. Noch nicht ganz wach höre ich, wie jemand den Rucksack packt. Nach und nach werden auch andere Pilger wach. Draußen ist es noch dunkel und bis Sonnenaufgang wird es noch eine Weile dauern.
Seit ich in San Sebastian gestartet bin, habe ich noch kein einziges Mal einen Wecker gebraucht. Den Weckdienst übernehmen die anderen Pilger. Je nach Unterkunft teilt man sich den Schlafsaal mit den obligatorischen Stockbetten mal mit mehr, mal mit weniger Pilgern. Durchschnittlich sind es um die zwanzig Betten. Anfangs ist es noch ungewohnt, aber mit der Zeit gewöhnt man sich daran.
Während ich mit müden Augen und meiner Zahnbürste ins Gemeinschaftsbad schlurfe, haben sich die ersten Pilger bereits auf den Weg gemacht. Es dauert nicht lange, bis man das Gefühl für Zeit verliert. Es ist nicht mehr wichtig, welcher Tag gerade ist. Auch die Stunde verliert an Bedeutung. Schritt und Atmung synchronisieren sich und es tritt eine meditative Stimmung ein. Man ist ganz bei sich, nur der Weg und man selbst auf dem Weg. Die Themen, über die man spricht, sind irgendwie anders, irgendwie tiefer. Man vertraut sich Menschen an, die man gerade erst kennengelernt hat. Das erzählen auch andere Pilger. Es scheint, als führe der Weg nicht einfach nur durch wunderschöne Landschaften. Er führt uns zu uns selbst, gibt der Seele Raum und Zeit.
Vor zwei Jahren brachte mich ein Freund auf den Gedanken diesen Weg zu gehen. Oft habe ich gehört, wie wunderbar und qualitativ diese Zeit sein soll. Und die Veränderungen der letzten Jahre hinterlassen ihre Spuren. Sei es, daß die Eltern alt werden und man sich sorgt, wie lange sie einem noch erhalten bleiben. Oder man sich im Spiegel betrachtet und immer weniger von dem jungen Menschen sieht, der aber weiterhin in der Seele wohnt. Um solche Dinge zu verarbeiten braucht der Mensch Abstand. Dafür ist der Jakobsweg genau das Richtige.
Den Jakobsweg geht man nicht allein
Die SIGMA dp2 Quattro ist mit ihrer Standardbrennweite und ihrer kompakten Bauweise ein gelungener Begleiter. Mit ihrem hochauflösendem Sensor, dem sehr scharfen Objektiv und dem unkompliziertem Handling ist sie eine sehr leichte Kompaktkamera. Sie liegt gut in der Hand. Das ungewöhnliche Design erscheint auf den ersten Blick unhandlich, aber der große Griff und die schmale Längsseite verleihen der Kamera große Stabilität. Die Rückseite ist klar strukturiert und die Bedienung über die beiden Rendelräder auf der Oberseite machen es leicht in jeder Situation schnell zu reagieren.
In der Casco Viejo, der Altstadt von Bilbao, sind es die Straßenszenen, die immer wieder ein Motiv offenbaren. Oder der Flysch in Zumaia, eine geologische Formation von ausserordentlicher Bedeutung und Schönheit. Die Sedimentabfolgen von Kreide und Ton reichen bis ins Paläogen, über einen Zeitraum von 100 Millionen Jahren. Die hervorragende Linse fängt das Bild in einem unglaublichen Detailreichtum auf. Der Dynamikumfang entblättert eine breite Vielfalt an Farbstufen. Oder auch an Grauwerten, je nachdem, ob man lieber in Farbe oder schwarzweiß fotografiert. Die Aufnahmen sehen sehr klar aus und wirken natürlich. Fast erinnert es daran, wie es einst war, als man noch Filme in die Kamera eingelegt hat.
Mit der dp2 ist Fotografieren ein wenig wie mit einer analogen Kamera. Man nimmt sich mehr Zeit. Und das Ergebnis präsentiert sich mit einer sehr feinen Zeichnung.
Unterwegs lerne ich Oscar kennen. Er kommt aus Madrid, hat aber viele Jahre in den USA gelebt. Er ist bereits zum achten Mal auf dem Camino und kennt alle Wege nach Santiago. Während wir gehen, erzählt er mir die Geschichte des Weges und wie das alles einmal begonnen hat.
Insgesamt gibt es fünf spanische Jakobswege. Der älteste Weg ist der Camino Primitivo, der im achten Jahrhundert entstand. Zu dieser Zeit war Spanien weitestgehend von den Mauren besetzt. Über die Jahrhunderte entstanden weitere Jakobswege. Dann kamen Pilger die Nordküste entlang, so entstand der Camino del Norte, auch Camino de la Costa genannt. Später, als das spanische Inland bereits rückerobert war, entstand der Camino Frances, der heutzutage weltweit bekannteste Jakobsweg. Von Ferrol in Galizien kommend, erstreckt sich der Camino Ingles. Von Sevilla kommend, begaben sich weitere Pilger auf die Via de la Plata. Die ehemals römische Straße führte als letzter Jakobsweg von Süden nach Santiago de Compostella.
Ich habe mich für den Camino del Norte entschieden. Im Sommer ist der Weg ein wenig kühler, da das nahe Meer immer eine leichte Brise ins Land weht. Die Landschaft fliest gemächlich an mir vorbei. Mal kommt man in ein Dorf, mal durch ein Wäldchen, mal geht man über Wiesen. Das allein fühlt sich Besonderes an, im normalen Leben bewegt man sich meist nur zwischen Arbeit, Supermarkt und wieder nach Hause. Auf dem Jakobsweg ist man auch nicht einfach ein Arbeitnehmer auf dem Weg zur Arbeit. Kein Computer, kein Fernsehen, keine Abgabetermine und keine Meetings. Man ist ein Pilger. Dieses Wissen stellt sich bei jedem irgendwann ein, bei manchem früher, bei manchem später.
Schon vor Jahrhunderten gingen Leute diesen Weg, immer mit dem selben Ziel. Immer Richtung Westen, nach Santiago de Compostella, dort, wo der heilige Jakobus seine Grabstelle haben soll.
Den Jakobsweg zu gehen, heißt, daß sich die Welt um einen herum verlangsamt. Es ist die Entschleunigung, die viele auf dem Weg erleben. Man trifft Menschen aus aller Herren Länder, mit den unterschiedlichsten Berufen und Zielen. Es gibt die unterschiedlichsten Gründe, sich auf den Jakobsweg zu begeben. Einige tun dies aus religiösen oder spirituellen Gründen, andere haben etwas zu verarbeiten. Wieder Andere wollen einfach nur wandern und die Schönheit des Weges genießen.
Was jedoch alle gemeinsam erleben, ist das Heraustreten aus dem täglich wiederkehrenden Alltag. Jeder Tag beginnt mit einer neuen Etappe, jeden Tag sieht man einen anderen Weg. Einfach nur draußen sein, die klare Luft einatmen und nichts zu tun, außer einen Fuß vor den anderen zu setzen. Tag für Tag und immer in die selbe Richtung.
Der Weg ist das Ziel
Der Camino del Norte führt zu einem großen Teil an der Küste entlang bis nach Ribadeo. Danach wendet er sich landeinwärts nach Santiago. Erst durch die ursprünglichen Regionen des Baskenland, dann durch Kantabrien, durch das ehemalige Königreich Asturien bis nach Galizien. Rund 850 Kilometer kommt man über küstennahe Wege von San Sebastian mit seiner schönen Meeresbucht und der pittoresken Altstadt, über Bilbao mit dem mondänen Guggenheim Museum nach Santander, Gijon und Oviedo. Dazwischen liegen das geschichtsträchtige Gernika, bekannt geworden durch das gleichnamige Gemälde von Pablo Picasso. Über Laredo mit seinem unendlichen Strand, die Kulturherberge in Güemes und das mittelalterliche Santilla del Mar kommt man durch etliche Orte, die geschichtlich wahre Schätze sind.
Kaum ein Tag, an dem die wilde Schönheit der nordspanischen Küste mir nicht den Atem raubt. Aus der Ferne sind Küstendörfer malerisch in Buchten zu sehen. Manche Städte wirken wie aus der Zeit gefallen. Immer wieder bleibe ich stehen um zu fotografieren. Mal ist es ein Strand, mal eine schöne Situation, die vor der Linse auftaucht.
Es ist früher Nachmittag als ich Gijon erreiche. Von der weit geschwungenen Strandpromenade zieht es den Blick zur Altstadt, die auf einer vorgelagerten Landzunge thront. Alles an dieser Stadt wirkt, als wäre die Zeit bereits vor Jahrzehnten stehengeblieben. Keine modernen Hochhäuser, die Architektur hält einen Dornröschenschlaf. Gepflegt und sauber öffnet sie dem Besucher ihr Herz.
Die ehemalige prosperierende Hafenstadt erlebte bis in die 80er Jahre einen wirtschaftlichen Aufschwung als industrieller Motor der umliegenden Region. Stahlproduktion und Schiffsbau, des weiteren der Abbau von Kohle konnte die Stadt jedoch nicht von der industriellen Krise der 1980er Jahre bewahren. Müsste ich die Stadt mit nur einem Wort beschreiben, so würde es romantisch am Ehesten treffen.
Zwischen herrschaftlichen Stadtpalästen und den Bausünden der siebziger Jahre, dem Meer zugewandt, komme ich an einen weitläufigen Platz. Ich sehe große Rahmen aus Stahl wie Soldaten in einer Reihe stehen. Meine Freude kann kaum größer sein, als mir klar wird, dass hier die Ausstellung „Genesis“ des großen Fotografen Sebastião Salgado gezeigt wird. Seine Bilder erzeugen ein Gefühl, als wären sie schon vor hunderten Jahren entstanden.
Archaische Landschaften, Szenen von indigenen Urvölkern und großartige Portraits haben seine Bilder weltberühmt gemacht. Etwas abseits sehe ich den Menschen zu, wie sie die Bilder betrachten. Ich sehe, wie sie sich nähern und tief in die Faszination der Aufnahmen gesogen werden. Für sie gibt es in diesem Moment kein Gestern und Morgen mehr. Nur der Blick in eine Welt, die den Betrachter in ein anderes Land, eine andere Zeit entführt. Kaum jemand kann sich dem entziehen. Unbemerkt fotografiere ich diese Szene und spüre, dass dies gute Fotos werden. Bilder von Menschen, wie sie die Welt betrachten. Bilder von Menschen, wie sie eine Welt betrachten, die ein Anderer schon vor ihnen betrachtet hat.