Wuppertal – Auf der Suche nach dem Ghetto
„Hier gibt es kein Ghetto!“ Finale Worte mit denen wir die Suche nach einem sozialen Brennpunkt in Wuppertal und unseren ersten fotografischen Ausflug im Rahmen des Uniworkshops beendeten. Über die Hintergründe des akademischen Workshops ‚Fotografische Gestaltung mit Licht und Schatten‘ haben wir ja bereits berichtet. Doch zum ersten Mal unterwegs mit den Studenten sollte sich der Ausflug ins Bergische Land als einzigartige Herausforderung darstellen. Denn was wir hofften zu finden war gar nicht da.
Die Uni, die Oper und die West Side Story
Doch lassen Sie uns an dieser Stelle an den Anfang zurückspulen, wie wir es noch zu analogen Zeiten mit unseren fertig belichteten Filmrollen taten. Wir starteten am 23. Oktober 2015 in das Semester zunächst mit dem Thema Belichtung. Letztere ist Grundlage der Fotografie und setzt sich aus den drei Komponenten Belichtungszeit, Blendenwert und Lichtempfindlichkeit (ISO) zusammen. Unser Workshop sollte sich auf die Theorie der Fotografie stützen und im Anschluss wurde daher das Augenmerk unserer Studenten auf die Themen Kameratechnik und Brennweite gelenkt.
In dieses Portfolio der Grundlagen platze dann noch in den letzten Tagen des verregneten Oktobers 2015 ein Anruf der Wuppertaler Bühnen, die uns für ein besonderes Projekt anfragten, die Musical-Produktion der legendären West Side Story. 1957 in New York uraufgeführt hat die West Side Story bis heute unzählige Zuschauer begeistert. Und auch diesmal sollte die Aufführung in Wuppertal zu 22 ausverkauften Vorstellung führen – wobei wir, der Fotoworkshop der Universität Bonn, ein Bild zum Programheft beitragen sollten. Nun orientierte sich die aktuelle Inszenierung zeitgenössisch an den urbanen Problemvierteln heutiger Metropolen und verortete das Stück daher unter eine Autobahnbrücke. Entsprechen anspruchsvoll sollte sich der Themenkatalog für die Fotografie gestalten und uns zwingen den Lehrplan gleich zu Beginn des Semesters ‚ein wenig‘ anzupassen.
Monochrome Streetfotografie
Urbanes Leben, soziale Brennpunkte, klassischen Hochhaussiedlungen, Zeugnisse städtischer Aggression sowie urbane Tristesse – so las sich der Vorschlag seitens der Wuppertaler Bühnen für uns. Ziel sollte natürlich die Stadt an der Wupper sein; und das möglichst zeitnah, um noch vor Drucksetzung passende Bilder zu liefern. Kurzer Hand entschieden wir uns daher einen Fotoworkshop in Wuppertal zu organisieren und die Wuppertaler Bühnen lobten zudem einen Wettbewerb für unsere Studenten aus.
Auch mussten wir im Lehrplan etwas vorgreifen und so standen ab sofort visuelle Gestaltung und Monochrome Fotografie auf unserem Stundenzettel. Letztere war zum einen mit den Wuppertaler Bühnen abgesprochen worden und wurde zudem auch unsererseits für diese Art der ‚Streetfotografie‘ am geeignetsten empfunden. Hinzu kam noch, dass mein Kollege Johanns ein großer Anhänger der Schwarzweißfotografie ist und dass diese gerade im künstlerischen Bereich weit mehr Anerkennung findet als andere Formen der Fotografie.
Am Anfang war das Bild
Die Motive waren definiert und das Wie wurde besprochen – so nahm unser erste praktische Ausflug in die Fotografie dann standesgemäß mit einer Fahrt in der Wuppertaler Schwebebahn zum Bahnhof Oberbarmen seinen Anfang. Uns erwartete ein bewölkter Himmel, leichter Nieselregen und damit perfekte Bedingungen für bedrückende Bilder; wie von uns gewollt. Auch fanden wir gleich in unmittelbarer Nähe zum Bahnhof eine Fußgängerbrücke, die zum begehrten Motiv der Studenten wurde. Hier zeigte sich erstmals ein Problem mit einem Haufen ambitionierter Jungfotografen, denn diese standen sich beim Fotografieren gegenseitig im Weg. Und so findet sich auf fast jedem Bild der Brücke mindestens ein fotografierender Student. Wenn Sie selbst das nächste Mal an einem Fotoworkshop teilnehmen und allesamt auf ein Motiv konzentriert sind, dann schauen Sie sich doch mal die Laufwege Ihrer Kollegen vor Ort an. Sie werden sich wundern wie oft Ihnen jemand im Weg steht.
Doch ungeachtet der ersten Schwierigkeiten hatten wir damit das erste Motiv im Kasten und so ging es dann gradewegs zu den Hochhäusern am Schmitteborn, die wir als zentrale Motive für das Thema sahen und die den Aspekt der klassischen Hochhaussiedlungen am besten gerecht wurden. Wir hofften dabei auch vor Ort auf Zeugnisse städtischer Aggression sowie urbane Tristesse zu stoßen und auf dem Weg dorthin Augenblicke des urbanen Lebens einzufangen. Soweit die Planung.
Kein Plan überlebt die erste Feindberührung
Frei nach der Lehre des preußischer Generalfeldmarschalls Helmuth Karl Bernhard von Moltke sollte es anders kommen als geplant. Denn unmittelbar auf dem Weg zu den Hochhäusern passierten wir eine längere Seitenstraße die sich für die einen als Wegstrecke, für die anderen als Motivladen entpuppte. In kurzer Zeit entwickelte sich so unser Kurs zu einem 1,5 km langen Fotografenlindwurm, der sich nach dem Passieren der Wupper in zwei Gruppen teilte.
So erreichte ich mit einem Stoßtrupp aus weniger als sechs Studenten die Hochhäuser am Schmitteborn. Diese sind ein wahrer Schandfleck der Stadt und sollen schon seit Jahren abgerissen werden. Ein wahrer Schatz für uns. Doch leider sind die Häuser mit einigen wenigen Ausnahmen gänzlich unbewohnt und damit auch ein schwieriges Motiv. Urbane Tristesse labt sich an urbanem Leben und Menschen sind auch hier wichtige Motive. Nun kam uns zugute, dass der Wettergott Erbarmen zeigte und uns just zum richtigen Zeitpunkt eine perfekte Wolkensituation schickte, welche die Studentin Maya Brohsonn geistesgegenwärtig zum Foto des Tages verleitete, das es dann auch ins Programmheft der Wuppertaler Bühnen schaffte.
Ich hingegen wanderte mit den Studenten um die drei Häuser in der Hoffnung den perfekten Motivblick zu finden und nutzte die Zeit vor Ort um der kleinen Gruppe eine kurze Einführung in die Langzeitbelichtung (LZB) zu präsentieren. Damit hatten die Studenten Blut geleckt und LZB wurde zum festen Bestandteil des Fotoworkshops und jeder folgenden Exkursion. Wie uns dann die Gruppe um meinen Kollegen Johanns erreichte gaben wir auch den Nachzüglern noch die Chance ihre Bilder zu machen und wir berieten uns des weiteren Vorgehens.
Streetfotografie par excellence
Was wir zu diesem Zeitpunkt nicht wissen konnten, war das alles was wir von Wuppertal zu erhalten hatten. In der Tat waren wir zu dieser Zeit noch immer auf der Suche nach dem ‚Ghetto‘, unserem sozialen Brennpunkt, unserem Bonn Tannenbusch, Köln Chorweiler oder Berlin Neukölln. Diese Liste könnte man beliebig weiterführen und ich würde an dieser Stelle lügen, wenn ich sagen würde, dass mir dieses Shooting keine Bauchschmerzen bereitet hat. Doch ungeachtet der Risiken hatten wir einen klaren Auftrag und so machten wir uns gleich daran mit Hilfe Einheimischer weitere Motive zu suchen. Wir fuhren daher auf Empfehlung nach Wuppertal Vohwinkel, und sollten dort außer gut bürgerlichem Leben keine weiteren Motive finden.
Mit einem lachenden und einem weinenden Auge beendeten wir sodann den Workshop vor Ort und rekapitulierte, dass Streetfotografie mitunter nicht so endet wie man sie eigentlich plant und dennoch in Abhängigkeit von den Möglichkeiten vor Ort zu einem zufriedenstellenden Ergebnis führen kann. Doch lehrte mich der Workshop in Wuppertal auch, dass die Suche nach passenden Motiven eine Frage der Vertrautheit mit seiner Umgebung ist. Es hat einen Grund, warum wir Fotografen gern in unseren Heimatregionen unterwegs sind, und das ist auch gut so, denn im Folgenden sollte Düsseldorf, meine Heimatstadt am Rhein, zur zentralen Drehscheibe unserer weiteren Fotoworkshops werden. Dazu aber in einem späteren Beitrag mehr….
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