Die Provinzhauptstadt Anyang

Die Provinzhauptstadt Anyang

Ab Herbst dieses Jahres bietet SIGMA zusammen mit Fotocoach Dietmar Baum und dem Reiseveranstalter China Tours einzigartige Fotoreisen nach China an. Da das Reich der Mitte als Reisedestination für Fotografen noch weitestgehend unbekannt ist, haben sich drei Blogger vorab auf die Reise gemacht und Land und Leute mal genauer unter die Lupe genommen.

Den ersten Auszug aus ihrem Reistagebuch haben wir bereits letzte Woche veröffentlicht und es werden in den kommenden Wochen noch ein paar weitere folgen. Wir hoffen so allen Interessierten das Reiseland China als Ziel für Fotoreisen näher bringen und einige Klischees und Vorurteile ausräumen zu können.

Von Peking nach Anyang

Text: Eva Grossert 
Bilder: Ariane Kovac

Der Super-Schnellzug aus Peking hat uns gestern gefühlt im Nirgendwo ausgespuckt. Ein riesiger Bahnhof im markanten sozialistischen Baustil und drei verlorene Langnasen fast allein auf dem Bahnsteig. Westliche Touristen sind noch relativ selten gesehene Gäste in Anyang, im nördlichen Ende der Provinz Henan, zu dieser Jahreszeit schon gar nicht.

Schnell wird klar, mit Englisch kommen wir hier nicht weit. Glücklicherweise werden wir aber schon von einem Fahrer und einem Tourguide erwartet, die uns die nächsten sieben Tage begleiten, mit Zahlen, Daten, Fakten jonglieren, bis uns der Kopf raucht und uns in die chinesische Kultur einweisen. Bei der Essenauswahl müssen sie uns an die Hand nehmen und ganz bestimmt amüsieren wir sie auch prächtig mit unseren kläglichen Versuchen, möglichst professionell mit Stäbchen zu hantiert.

Auch wenn Anyang den wenigsten Deutschen ein Begriff sein wird, ein Nirgendwo ist es mitnichten. Das wird schnell klar, als wir uns vom Bahnhof der Stadt nähern. Hochhäuserreihen ragen weit in den Himmeln und Straßen so breit wie Autobahnen. Dieser vermeintlich weiße Fleck auf unseren persönlichen Landkarten hat immerhin fast 5,5 Mio. Einwohner und war einst die Hauptstadt der Yin- und Shang Dynastie. Dementsprechend „kaiserliche“ Sehenswürdigkeiten, welchen wir uns heute ausgiebig widmen werden, weist die Stadt auf.

Wie Gelehrte und Adelige einst lebten

Erste Station, unseres heutigen Kulturprogramms, ist der Wohnhof der Familie Ma. Kurz macht sich Enttäuschung breit, denn dort erhalten wir nicht etwa einen Einblick in das gegenwärtige Leben chinesischer Familien, sondern über den Alltag und das Leben zu Zeiten der kaiserlichen Dynastien. Und ich hatte uns schon bei Familie Ma am warmen Ofen sitzen gesehen! So stehen wir noch etwas verfroren im beeindruckend hübschen, traditionellen Wohnkomplex der adligen Familie, geschmückt mit roten Lampions. Wir erfahren, wo Verlobte nächtigen, wo die Kaiserin empfangen wurde, wie prächtig der erste Sohn lebt und der Vierte sich als Bauer verdient, wie aus kleinen Kindern Gelehrte heranwachsen und welchen Stellenwert die schönen Künste und die Schrift hatten. Es schließt sich der Kreis und es wird eindeutig, warum die Gegend als die Wiege der chinesischen Zivilisation und Schrift gilt.

Ausgrabungen, Orakelschriften und Wahrsagungen

Im Nordwesten der Stadt liegt Yīnxu, die „Ruinen von Yin“, das einst die Hauptstadt der Shang-Dynastie war, 2006 in die Liste des UNESCO-Welterbes aufgenommen wurde, und unser nächstes Ziel stellt.

Ein riesiges, 36 Quadratkilometern großes Areal an Ruinen, Palästen, Ahnentempel und des königlichen Mausoleums mit wertvollen archäologischen Funden. Bei Ausgrabungen wurden Jahrtausende alte Orakelknochen gefunden, auf denen sich Vorformen der chinesischen Schrift befinden. Die Inschriften sind auf Schildkrötenpanzer, Knochen oder Orakelstäbchen geschnitzte schriftliche Aufzeichnungen der Kaiserfamilie über Wahrsagungen in der Yin-Dynastie. In Yinxu wurden neben bedeutenden Bronzewaren, Jade Kunstschätze, Grabstätten (sogar mit kompletten Pferdewägen) insgesamt über 150.000 Orakelknochen ausgegraben.

Wir sind schwer beeindruckt. Darauf erst einmal eine kräftige Nudelsuppe in der museumseigenen Kantine lauthals schlürfen. Das haben wir uns von den Chinesen durchaus schon abgeschaut.

Historischer Nachmittag und neuzeitlicher Abend

Die Programmpunkte des Nachmittags sehen den Besuch in der Wegfeng Pagode, die derzeit restauriert wird, vor und die Besichtigung der historische Stätte Youlicheng, das Exil und Gefängnis des König Wen. Ein wunderschöner Ort mit trauriger Geschichte. Es handelt sich dabei um die Ruine des ersten, von schriftlichen Aufzeichnungen belegten, staatlichen Gefängnisses. König Wen galt als weise und gütig und wurde dort von seinem Konkurrenten unter Hausarrest gesetzt. Etwas Gutes hatte die Angelegenheit allerdings, er schrieb dort ein bedeutendes Werk „Zhou Yi“ und berechnete die acht Diagramme. Wir gehen die Sache banaler an, lustwandeln zu sanften musikalischen Klängen im Feng-Shui Garten und spielen im mannhohen Labyrinth.

Nach so viel Kultur und Dynastie Gerangel schwirrt der Kopf und knurrt der Magen. Anyangs Supermarkt muss Snacks bereithalten. Im Walmart kämpfen wir hart gegen den Shoppingwahn bei dieser immensen Auswahl an Bling Bling und süßen Verführungen. Warme lange Unterhosen wandern bei mir Frostbeule allerdings in den Einkaufskorb. Meine Winterausrüstung versagt bei diesen Temperaturen und dem nicht beheizbaren Hotelzimmer. Stefan düngt es nach Bier und ein paar westlichen Snacks und Ariane sucht vor allem Kurioses. Das lässt sich finden!

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